Als Neukölln noch Rixdorf hieß
Archivar des Böhmischen Dorfs bietet mehrere Führungen zur Geschichte
Schlendert man die Karl-Marx-Straße entlang, wird man kaum vermuten, dass sich nur gut wenige hundert Meter von dieser quirligen Hauptverkehrsader entfernt ein dörflicher Kiez erhalten hat, der von Beschaulichkeit, aber auch vom Bewusstsein seiner eigenen Geschichte gekennzeichnet ist: das Böhmische Dorf.
Wäre es da nicht spannend, mehr über diesen Ort zu erfahren? Doch wie kommen interessierte Menschen zu verlässlichen und möglichst allgemeinverständlichen Informationen über dieses Dorf in der Weltstadt ohne Besuch in Bibliotheken oder Archiven? Dies ist eigentlich ganz einfach. Schließlich bietet der Verein „Archiv im Böhmischen Dorf“ unterschiedliche Führungen an zu interessanten historischen Orten und Themen im früheren Rixdorf, wie der nördliche Teil von Neukölln bis 1912 hieß. Dass sich die Teilnehmer solcher Rundgänge auf die Zuverlässigkeit der Erklärungen verlassen dürfen, dafür sorgt Stefan Butt, seines Zeichens Dorfarchivar und versierter Stadtführer: „Wir versuchen, geschichtsträchtige Orte wie den Gottesacker und die Dorfkirche für die Allgemeinheit zugänglich zu machen.“
Dass ihm dies gelingt, wird schon auf der ersten angebotenen Tour durch das Böhmische Dorf deutlich, das seine Entstehung der Vertreibung protestantischer Böhmen durch die katholischen Habsburger einerseits, andererseits der liberalen Ansiedlungspolitik in Preußen verdankt. So siedelten im Jahre 1737 rund 300 verfolgte Böhmen neben Deutsch-Rixdorf, woraus 1874 die neue Gemeinde Rixdorf, der heutige Ortsteil Neukölln hervorging. So ist es auch folgerichtig, dass dieser Spaziergang am Friedrich-Wilhelm-Denkmal in der Kirchgasse startet, hatten es die Flüchtlinge doch aus Dankbarkeit für ihre Aufnahme in Preußen errichtet. Diese Tour geht über Kopfsteinpflastergassen, vorbei an malerischen Bauerngärten und in verborgene Höfe.
Über die Entwicklung Rixdorfs zur Großstadt informieren kann man sich bei der Führung „Boom der Gründerjahre“. Wer mitläuft, erfährt auch, warum der Ortsteil Neukölln heute offiziell nicht mehr Rixdorf heißt und wie sich aus dem größten preußischen Dorf der Kern des heutigen Bezirks entwickelt hat. Los geht es, wo sonst, am Rathaus Neukölln.
Beschaulicher, aber nicht weniger interessant ist der dritte angebotene Rundgang. Er führt auf den 1751 angelegten Böhmischen Gottesacker der Brüdergemeine und beginnt am Eingang an der Ecke Kirchhof- und Wipperstraße. Dabei geht der Begriff Brüdergemeine auf eine Bezeichnung in Sachsen lebender Herrenhuter Protestanten zurück, die damit die Gleichheit aller Menschen vor Gott deutlich machen wollten. „Der zweitälteste noch genutzte Friedhof Berlins ist heute eine ruhige Oase mitten im turbulenten Neukölln“, verrät Butt.
Diese drei Führungen dauern etwa zweieinhalb Stunden und können von Gruppen ab sechs (bis maximal 25) Personen unter ¿68 99 97 20 und ¿0170 659 44 62 oder per E-Mail unter boehmischesdorf@yahoo.com zum Preis von zehn Euro pro Person gebucht werden. Auf Wunsch werden auf den Rundgängen auch Schwerpunktthemen – etwa die preußische Migrationspolitik oder die böhmische Reformation und ihre theologischen Hintergründe – behandelt. Spezielle Angebote gibt es für Schulklassen. Weitere Informationen gibt es im Internet auf boehmischesdorf.de.
Einzelpersonen müssen aber nicht leer ausgehen. Jeden ersten Sonntag in geraden Monaten führt Stefan Butt ab 14 Uhr über den Gottesacker (das nächste Mal am 1. Oktober), am ersten Sonntag in ungeraden Monaten zeigt er ab 14 Uhr den Kiez im Wandel rund um die Boddinstraße (Treffpunkt: Ecke Neckar- und Isarstraße). Zusätzlich gibt es am 10. September um 14 Uhr eine Führung durch das Böhmische Dorf ab Friedrich-Wilhelm-Denkmal. Alle Touren dauern etwa 75 Minuten und kosten fünf Euro pro Person.
Autor:Uwe Lemm aus Mahlsdorf |
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