"Selbstverkehrung christlichen Lebens"
Auf dem Friedhof Jerusalem V hat die Kirche zur Nazi-Zeit ein Zwangsarbeiterlager betrieben
Am 13. November, dem Volkstrauertag, wurde auf dem Friedhof Jerusalem V an der Hermannstraße eines dunklen Kapitels der Kirchengeschichte gedacht. Dort befand sich von 1942 bis 1945 ein Zwangsarbeiterlager, an das bald eine Gedenkstätte erinnern soll.
Mehr als 100 Männer, verschleppt vor allem aus der Ukraine, waren in engen Baracken untergebracht. Sie schufteten auf Friedhöfen, einige auch in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern. Das Zwangsarbeiterlager war damals wahrscheinlich das einzige in ganz Deutschland, für das die Kirche verantwortlich zeichnete. Etliche Berliner Gemeinden, 39 evangelische und drei katholische, beteiligten sich an der Ausbeutung der 15- bis 60-jährigen Männer.
„Wir müssen uns die Perversion vor Augen führen. Christen betreiben organisiert ein Zwangsarbeiterlager. Sie lassen Menschen für ihren eigenen Profit arbeiten, sie lassen sie auf Friedhöfen Gräber ausheben. Es ist der Abgrund, die Selbstverkehrung christlich-kirchlichen Lebens, Anspruchs, Botschaft“, sagte Bischof Christian Stäblein in seiner Rede.
Zeitzeugen verstorben
Bereits vor 20 Jahren gründete sich die „Arbeitsgemeinschaft Zwangsarbeit“ und begann mit der Aufarbeitung. Es galt, historische Quellen zu finden und das Geschehene aus Sicht der Opfer zu rekonstruieren und darzustellen. „In elf Fällen ist es uns gelungen, Kontakt zu ehemaligen Zwangsarbeitern herzustellen“, so Wolfgang Krogel, Direkter des evangelischen Landeskirchenarchivs. Die Männer erzählten von schlimmen Erlebnissen, dem mühseligen Alltag, stellten Tagebuchaufzeichnungen zur Verfügung. Heute lebt keiner dieser Zeitzeugen mehr.
Schon seit 2010 erinnert eine Ausstellung im ehemaligen Blumenpavillon auf dem benachbarten Thomas-Friedhof an sie und ihre Leidensgenossen. Doch die Arbeitsgemeinschaft wollte mehr, nämlich eine Gedenkstätte an Ort und Stelle. Auf dem rund 3000 Quadratmeter großen Gelände wurden Ausgrabungen gemacht und Fundamente freigelegt, manche erstaunlich intakt. Es gab unter anderem einen Kartoffelkeller und Holzschuppen, eine Wirtschaftsbaracke und vier Unterkünfte, die gerade einmal dreieinhalb Quadratmeter Platz pro Mann boten. Auch der Spittergraben wurde freigelegt, in die sich die Lagerinsassen bei Bombenangriffen ducken sollten. Luftschutzkeller waren für „Ostarbeiter“ verboten. Tatsächlich schlugen mehrere Bomben auf dem Gelände ein, glücklicherweise tagsüber, als die Insassen ihren Sklavendienst taten. Anderenfalls hätte es Todesopfer gegeben.
Eröffnung am 24. April
Die Gedenkstätte ist noch nicht ganz fertig, die bekannten Schwierigkeiten während der Corona-Krise haben für Verzögerungen gesorgt. In den nächsten Wochen jedoch werden 25 Stelen errichtet, die an die Zwangsarbeiter erinnern, weitere Info-Tafeln mit QR-Codes aufgestellt und noch viele andere Arbeiten erledigt. Für die Öffentlichkeit dauerhaft zugänglich soll das Areal ab dem 24. April sein. An diesem Tag wird der Befreiung des Lagers im Jahr 1945 gedacht. Geplant ist, dass das Gelände dann täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet ist. Auch Führungen wird es geben.
Zu erreichen ist die Gedenkstätte über den Grünen Weg, der zwischen dem Anita-Berber-Park und dem Friedhof Jerusalem V, Hermannstraße 84, verläuft.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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