Für den Punk in der Literatur
„Buchkönigin“ Nina Wehner engagiert sich mit ihrem Laden für unabhängige Verlage
Das Ladenschild hängt etwas zu hoch, man muss den Kopf in den Nacken legen und hinaufschauen. Aber es geht ja auch um eine „höhergestellte Persönlichkeit“: In der Hobrechtstraße 65 residiert die „Buchkönigin“.
Innen gibt es natürlich in erster Linie viele Regale mit Büchern. Als Erstes fällt der Blick aber auf eine große Hirschskulptur, die auf einem Tisch steht und dem Betrachter ein beeindruckendes Geweih präsentiert. Das Tier ist eine Dauerleihgabe des Künstlers Sebastian Meschenmoser. „Er wohnte früher in der Hobrechtstraße und hat uns die Figur überlassen, als sein Studio zu klein wurde“, erzählt Nina Wehner, die Inhaberin des Buchladens. Der Hirsch ist seitdem das Maskottchen des Geschäfts. Das besteht seit 2010. Hannah Wiesehöfer, studierte Literaturwissenschaftlerin, wollte einen Buchladen eröffnen und machte sich per Zeitungsinserat auf die Suche nach einer Mitstreiterin. Nina Wehner, gelernte Buchhändlerin, war von dem Projekt angetan und meldete sich. Der Laden an der Hobrechtstraße war bald gefunden, und nach Monaten der Vorarbeit sollte die Eröffnung sein.
Aber eine Hürde war noch zu überwinden: Ein Name fehlte. „Wir haben wochenlang überlegt, ohne Ergebnis“, erinnert sich Nina Wehner. Bei einer Party mit Freunden wurden dann Ideen auf einem Plakat gesammelt. „Das habe ich aufbewahrt, weil die Aktion so lustig war.“ Stimmt. „Buchstabensuppe“ steht auf dem Papierbogen, „Seitenhieb“, „Leserschwert“ und „Erich Fried Chicken“. Etwas speziell, aber für Kenner kein Problem war der Vorschlag „Entweder diese scheußliche Tapete geht – oder ich“, angeblich Oscar Wildes letzte Worte. „Hannah schlug dann ,Buchkönigin‘ vor, und da ich ein bisschen royal angehaucht bin, blieb es dabei“, erzählt Wehner.
Im Gegensatz zum Namen stand das Konzept für den Buchladen von Anfang an fest. Abseits des Mainstreams sollte es sein – mit politischen Sachbüchern, frauenrelevanten und lesbischen Inhalten sowie intelligenter und diverser Kinderliteratur. „Diese Themen waren damals noch nicht so präsent, es war schwierig, Lesestoff dazu zu finden“, erinnert sich Wehner. Genauso wichtig war es, kleinere, von Konzernen unabhängige Verlage zu repräsentieren und sie damit zu unterstützen.
Das Konzept gilt immer noch, auch wenn Nina Wehner inzwischen den Laden mit zwei Mitarbeitern, aber ohne ihre Geschäftspartnerin managt, da Hannah Wiesehöfer Berlin vor zwei Jahren verlassen hat. Das Publikum der „Buchkönigin“ dankt es nach wie vor. Es gibt nicht nur treue Stammkunden aus dem Kiez. Seitdem sich Nord-Neukölln zu einem Szeneviertel entwickelt hat, kommt auch internationale Kundschaft, die englischsprachige Literatur sucht.
Warum liegen Nina Wehner die kleinen Verlage, vor allem die aus Berlin, so am Herzen? „Sie trauen sich was, sind mutig, so etwas wie der Punk in der Literatur“, begründet sie ihr Engagement. Wahre Schätzchen seien zu entdecken, nicht nur Abgedrehtes. Zu vielen der kleinen Unternehmen mit höchstens einer Handvoll Mitarbeiter hat sie persönliche Beziehungen, Freundschaften sind entstanden, ein Netzwerk. „Man kennt sich und hilft sich.“
"Was für eine Sprache!"
Zu Wehners Job gehört viel Zeit zum Lesen, denn für die Bücher, die sie anbietet, schreibt sie Empfehlungen. Privat bevorzugt sie Literatur, die sie herausfordert, etwa immer wieder Franz Kafka, Friederike Mayröcker oder Rolf Dieter Brinkman. „Manchmal denke ich: Wow, was für eine Sprache!“ Ihre Kunden berät sie gerne „kreativ“. „Im Gespräch merke ich, welches Buch passen könnte, der eine oder andere geht dann mit einem Titel raus, den er ursprünglich nicht auf dem Plan hatte, das freut mich sehr.“
Anerkennung gibt es nicht nur aus dem Kiez. In den Jahren 2019 und 2022 gab es den Deutschen Buchhandlungspreis in der Kategorie „Hervorragende Buchhandlungen“. „Das war natürlich eine tolle Anerkennung“, sagt Nina Wehner. Auch für 2023 will sich die „Buchkönigin“ bewerben.
Autor:Ulrike Martin aus Neukölln |
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