Das Rathaus hatte einen Vorläufer, der von einer Bombe getroffen wurde
Nur relativ betagte Neuköllner werden sich daran erinnern, dass auf dem heutigen Rathausvorplatz einmal das alte Amtshaus stand. Denn vor mehr als 70 Jahren wurde es zerstört.
Die Einweihung feierten die Bürger am 1. Oktober 1879. Der Bau war nötig geworden, weil sich wenige Jahre zuvor die beiden Dörfer Böhmisch- und Deutsch-Rixdorf zusammengetan hatten. Für den neuen, erst dreißigjährigen Gemeindevorsteher Hermann Boddin und seine Verwaltung gab es jedoch keine Diensträume, man behalf sich mit Mietwohnungen.
Bald fiel die Entscheidung für ein Amtshaus. Es war ein typischer preußischer Staatsbau mit Zinnen und Giebeln. In den Anfangsjahren fanden dort nicht nur Kontore Platz, sondern auch Boddins Wohnung, ein Wasserreservoir, Schlafräume für Lehrlinge und eine „Hofdruckerei“. Schon 1894 musste das Gebäude erweitert werden, denn Rixdorf – das erst 18 Jahre später den Namen Neukölln tragen sollte – wuchs schnell. In eineinhalb Jahrzehnten hatte sich die Einwohnerzahl auf nun knapp 54 000 verdreifacht.
Und der Zuzug ging ungebremst weiter. Am 1.Mai 1899 erhielt Rixdorf die Stadtrechte (als zweite Vorortgemeinde nach Schöneberg) und schied somit aus dem Kreis Teltow aus. 1903 wurde die Hunderttausend-Einwohner-Marke geknackt. Für so viele Menschen reichte das Amtshaus beim besten Willen nicht mehr.
Deshalb machte sich Stadtbaurat Reinhold Kiehl gleich nach seinem Amtsantritt 1905 daran, Pläne für das gesamte Areal zwischen Karl-Marx-Straße (damals Berliner Straße), Donau-, Schönstedt- und Erkstraße zu entwerfen. Drei Jahre später stand der 67 Meter hohe Rathausturm. Auch die ersten Gebäudeteile konnten bezogen werden. Weil die Kosten mit anderthalb Millionen Mark höher als geplant waren, musste das alte Amtshaus weitergenutzt werden – ursprünglich hatte Kiehl seinen Abriss vorgesehen.
Sein tatsächliches Ende kam erst im Zweiten Weltkrieg, als es von einem Bombentreffer stark beschädigt wurde. Das neue Rathaus blieb relativ intakt. Das sollte aber so nicht bleiben. Am 25. April 1945 erreichte die Rote Armee Neukölln. Drei Tage sollten die Straßenkämpfe währen. Der damalige Bürgermeister Kurt Samson, zwar ein strammer Nazi, lehnte es ab, das Rathaus mit Waffengewalt zu verteidigen und zog sich mit seinen Beamten und Angestellten ins heutige Albert-Schweitzer-Gymnasium, nahe dem Hermannplatz, zurück. Aber er konnte oder wollte nicht verhindern, dass der NSDAP-Kreisleiter Wollenberg befahl, das Rathaus in Brand zu stecken. Der Hauptbau mit seinem Turm und seinen Holzausbauten wurde schwer beschädigt. Viele wichtige Dokumente gingen unwiederbringlich verloren.
Der Wiederaufbau begann erst 1950. Der Flügel an der Karl-Marx-Straße entstand. Wer daran emporschaut, kann übrigens sieben Reliefs entdecken, von denen sechs das Elend der Nachkriegszeit widerspiegeln, wie Stadtführer Reinhold Steinle bei Rathausrundgängen erklärt. Von links nach rechts zeigen sie: Verzweiflung, Holzbeschaffung, Tauschhandel, Teilung der Stadt, die Luftbrücke und Arbeitslosigkeit. Das letzte – ein starker Arbeiter, der ein Rad dreht – symbolisiert schließlich Neuanfang und Hoffnung.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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