Das Rathaus hatte einen Vorläufer, der von einer Bombe getroffen wurde

Das alte Amtshaus an der Ecke Erk- und Berliner Straße (heute: Karl-Marx-Straße) im Jahr 1905. | Foto: aus dem Buch "Rixdorf-Neukölln"
5Bilder
  • Das alte Amtshaus an der Ecke Erk- und Berliner Straße (heute: Karl-Marx-Straße) im Jahr 1905.
  • Foto: aus dem Buch "Rixdorf-Neukölln"
  • hochgeladen von Susanne Schilp

Nur relativ betagte Neuköllner werden sich daran erinnern, dass auf dem heutigen Rathausvorplatz einmal das alte Amtshaus stand. Denn vor mehr als 70 Jahren wurde es zerstört.

Die Einweihung feierten die Bürger am 1. Oktober 1879. Der Bau war nötig geworden, weil sich wenige Jahre zuvor die beiden Dörfer Böhmisch- und Deutsch-Rixdorf zusammengetan hatten. Für den neuen, erst dreißigjährigen Gemeindevorsteher Hermann Boddin und seine Verwaltung gab es jedoch keine Diensträume, man behalf sich mit Mietwohnungen.

Bald fiel die Entscheidung für ein Amtshaus. Es war ein typischer preußischer Staatsbau mit Zinnen und Giebeln. In den Anfangsjahren fanden dort nicht nur Kontore Platz, sondern auch Boddins Wohnung, ein Wasserreservoir, Schlafräume für Lehrlinge und eine „Hofdruckerei“. Schon 1894 musste das Gebäude erweitert werden, denn Rixdorf – das erst 18 Jahre später den Namen Neukölln tragen sollte – wuchs schnell. In eineinhalb Jahrzehnten hatte sich die Einwohnerzahl auf nun knapp 54 000 verdreifacht.

Und der Zuzug ging ungebremst weiter. Am 1.Mai 1899 erhielt Rixdorf die Stadtrechte (als zweite Vorortgemeinde nach Schöneberg) und schied somit aus dem Kreis Teltow aus. 1903 wurde die Hunderttausend-Einwohner-Marke geknackt. Für so viele Menschen reichte das Amtshaus beim besten Willen nicht mehr.

Deshalb machte sich Stadtbaurat Reinhold Kiehl gleich nach seinem Amtsantritt 1905 daran, Pläne für das gesamte Areal zwischen Karl-Marx-Straße (damals Berliner Straße), Donau-, Schönstedt- und Erkstraße zu entwerfen. Drei Jahre später stand der 67 Meter hohe Rathausturm. Auch die ersten Gebäudeteile konnten bezogen werden. Weil die Kosten mit anderthalb Millionen Mark höher als geplant waren, musste das alte Amtshaus weitergenutzt werden – ursprünglich hatte Kiehl seinen Abriss vorgesehen.

Sein tatsächliches Ende kam erst im Zweiten Weltkrieg, als es von einem Bombentreffer stark beschädigt wurde. Das neue Rathaus blieb relativ intakt. Das sollte aber so nicht bleiben. Am 25. April 1945 erreichte die Rote Armee Neukölln. Drei Tage sollten die Straßenkämpfe währen. Der damalige Bürgermeister Kurt Samson, zwar ein strammer Nazi, lehnte es ab, das Rathaus mit Waffengewalt zu verteidigen und zog sich mit seinen Beamten und Angestellten ins heutige Albert-Schweitzer-Gymnasium, nahe dem Hermannplatz, zurück. Aber er konnte oder wollte nicht verhindern, dass der NSDAP-Kreisleiter Wollenberg befahl, das Rathaus in Brand zu stecken. Der Hauptbau mit seinem Turm und seinen Holzausbauten wurde schwer beschädigt. Viele wichtige Dokumente gingen unwiederbringlich verloren.

Der Wiederaufbau begann erst 1950. Der Flügel an der Karl-Marx-Straße entstand. Wer daran emporschaut, kann übrigens sieben Reliefs entdecken, von denen sechs das Elend der Nachkriegszeit widerspiegeln, wie Stadtführer Reinhold Steinle bei Rathausrundgängen erklärt. Von links nach rechts zeigen sie: Verzweiflung, Holzbeschaffung, Tauschhandel, Teilung der Stadt, die Luftbrücke und Arbeitslosigkeit. Das letzte – ein starker Arbeiter, der ein Rad dreht – symbolisiert schließlich Neuanfang und Hoffnung.

Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

29 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Das Team von Optik an der Zeile freut sich auf Ihren Besuch. | Foto: privat

Optik an der Zeile
16. Brillenmesse vom 5. bis 7. Dezember 2024

40 Jahre Augenoptik-Tradition im Märkischen Viertel, das feiern wir immer noch in diesem Jahr 2024. Feiern Sie mit uns und profitieren Sie von unseren Jubiläumsangeboten. Kommen Sie zu uns und staunen Sie über die Vielfalt der Angebote. Anlässlich unserer 16. Brillenmesse vom 5. bis 7. Dezember 2024 bieten wir Ihnen die gesamte Kollektion namhafter Designer. Sie können aus einer riesigen Auswahl Ihre Brille finden. Mit vielen schönen Brillengestellen und den Brillengläsern von Essilor und...

  • Märkisches Viertel
  • 13.11.24
  • 701× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 987× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Wie Sie Rückenschmerzen durch fortschrittliche Behandlungskonzepte in den Griff bekommen, erfahren Sie am 3. Dezember. | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Ihre Optionen bei Beschwerden
Moderne Therapien an der Lendenwirbelsäule

Um "Moderne Therapien an der Lendenwirbelsäule – Ihre Optionen bei Beschwerden" geht es beim Patienteninformationsabend am Dienstag, 3. Dezember. Rückenschmerzen, Ischias-Beschwerden und Bewegungseinschränkungen im Bereich der Lendenwirbelsäule gehören zu den häufigsten orthopädischen Problemen. An diesem Infoabend erhalten Sie Einblicke in aktuelle Therapiemöglichkeiten und fortschrittliche Behandlungskonzepte. Unser Wirbelsäulenspezialist Tim Rumler-von Rüden erklärt, wie moderne Technologien...

  • Reinickendorf
  • 07.11.24
  • 963× gelesen
  • 1
WirtschaftAnzeige
Für rund 105.000 Haushalte im Bezirk Lichtenberg baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom
2 Bilder

Telekom macht's möglich
Schnelles Glasfasernetz für Lichtenberg

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes im Bezirk Lichtenberg auf Hochtouren. Damit können rund 105.000 Haushalte und Unternehmen in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Karlshorst, Lichtenberg und Rummelsburg einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Schnell sein lohnt sich Wer jetzt einen Glasfaser-Tarif bei der Telekom beauftragt, gehört...

  • Bezirk Lichtenberg
  • 30.10.24
  • 1.322× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.