Der verlorene Turm: Genezareth-Kirche gekappt, geplündert, wiederaufgebaut

Erbaut wurde sie im neugotischen Stil nach den Plänen des Architekten Franz Schwechten: die Kirche auf dem Herrfurthplatz. | Foto: Schilp
2Bilder
  • Erbaut wurde sie im neugotischen Stil nach den Plänen des Architekten Franz Schwechten: die Kirche auf dem Herrfurthplatz.
  • Foto: Schilp
  • hochgeladen von Susanne Schilp

Neukölln. Die Genezareth-Kirche auf dem Herrfurthplatz gehört so sehr zum Bild des Kiezes, dass sich kaum jemand Gedanken darüber macht, warum sie eigentlich keinen Turm hat. Doch dahinter steckt eine interessante Geschichte.

Das Gotteshaus, errichtet im neugotischen Stil, wurde am 4. Juni 1905 feierlich eingeweiht – sogar der Kaiser hatte Gesandte geschickt. Damals ragte ein prächtiger Turm 62 Meter hoch in den Himmel. Knapp 20 Jahre später, 1923, wurde auf dem benachbarten Tempelhofer Feld der reguläre Flugbetrieb aufgenommen. Bald sahen sich die Verantwortlichen veranlasst, acht große rote Leuchten am Turm anbringen zu lassen, damit Piloten, die nachts den Flughafen ansteuerten, das Bauwerk nicht übersahen.

Ende der 1930er-Jahre begann dann der Ausbau zum Großflughafen. Angesichts der Zunahme des Luftverkehrs fiel die Entscheidung, die Turmspitze abzutragen. Nun maß die Kirche noch 38 Meter. Doch das war noch nicht das Ende des Schrumpfprozesses: Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde auf Befehl des amerikanischen Hauptquartiers auch der letzte Teil des Turms, die Glockenstube, abgerissen. Jetzt hatte die Kirche mit 21,7 Metern ihren Tiefpunkt erreicht.

Der Grund für die erneute Kappung lag auf der Hand. Die Amerikaner sorgten sich um die Sicherheit ihrer Flugzeuge. Schließlich landete während der Luftbrücke 1948/49 im Schnitt alle drei Minuten ein Luftfrachter in Tempelhof, um die blockierte Stadt zu versorgen. Nicht nur der Turm der Genezareth-Kirche war nun verschwunden, das ganze Gebäude war in einem desolaten Zustand.

Bombentreffer hatten das Gotteshaus während des Krieges in eine Ruine verwandelt. Zudem hatten Anwohner alles, was brennbar war und helfen konnte, die harten, kalten Nachkriegswinter zu überstehen, aus der Kirche mitgehen lassen.

Doch auf der anderen Seite gründeten Gemeindemitglieder schon 1948 einen Verein, der Geld für den Wiederaufbau des Gotteshauses sammelte. Es dauerte acht Jahre, bis mit den Arbeiten begonnen wurde und weitere drei Jahre, bis die zweite Einweihung gefeiert werden konnte. Zwar wurde der Turm nicht wiedererrichtet, doch immerhin die Glockenstube. Heute ist die Kirche wieder so hoch wie vor dem Zweiten Weltkrieg: 38 Meter. sus

Erbaut wurde sie im neugotischen Stil nach den Plänen des Architekten Franz Schwechten: die Kirche auf dem Herrfurthplatz. | Foto: Schilp
Mit Turm und Spitze: So sah die Kirche ursprünglich einmal aus. | Foto: Museum Neukölln
Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

29 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 180.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom baut Netz aus
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Ab Dezember starten die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Borsigwalde, Friedenau, Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade, Lübars, Mariendorf, Neu-Tempelhof, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Tegel, Waidmannslust, Wilhelmstadt und Wittenau. Damit können weitere rund 180.000 Haushalte und Unternehmen in Berlin einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2030 plant...

  • Borsigwalde
  • 11.12.24
  • 2.800× gelesen
BauenAnzeige
2024 war Richtfest für die Grundschule in der Elsenstraße. | Foto: SenBJF
7 Bilder

Berliner Schulbauoffensive 2016-2024
Erfolgsgeschichte für unsere Stadt

Die Berliner Schulbauoffensive ist nach wie vor eines der zentralen Projekte unserer Stadt. Mit aktuell mehr als 44.000 neu entstandenen Schulplätzen setzt die Offensive ihre Ziele erfolgreich um. So wurden von 2016 bis 2023 bereits 5 Milliarden Euro in moderne Bildung investiert. Auch in den kommenden Jahren wird das derzeit größte Investitionsvorhaben für Schulen fortgesetzt. Die Offensive geht weiter und führt zu einer dauerhaft verbesserten schulischen Umgebung für unsere Schülerinnen und...

  • Charlottenburg
  • 13.12.24
  • 2.141× gelesen
  • 1
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 84.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom vernetzt
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Berlin auf Hochtouren. Neue Arbeiten starten nun auch in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Friedrichshain, Karlshorst, Kreuzberg, Lichtenberg und Rummelsburg. Damit können nun rund 84.000 Haushalte und Unternehmen einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2023 plant die Telekom insgesamt...

  • Alt-Hohenschönhausen
  • 11.12.24
  • 2.754× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 3.665× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.