Seine Muse ist der Zufall
Maurus Knowles arrangiert Dinge, die er auf der Straße findet, zu Kunstwerken
„Ich kann nicht anders, so etwas muss ich mitnehmen“, sagt Maurus Knowles und zeigt eine Blüte einer kleinen Stoff-Mohnblume. Der Künstler stöbert fast alle seine Materialien bei Streifzügen durch die Kieze auf. „Straßengold“ nennt er die Fundstücke und sich selbst einen „Savage artist“.
Savage, das bedeutet „bergen“ oder „erhalten“. Für Knowles haben auch die Dinge ein Wesen und seine Muse ist der Zufall. Was er findet oder ihm geschenkt wird, arrangiert er zu kleinen oder größeren Skulpturen. „Eigentlich male ich mit Sachen“, sagt er.
Besonders liebt er Stühle, Schubladen und Puppen. Die Schubladen verwandelt er in kleine Bühnen, die Stühle bekommen ihnen fremde Rollen zugewiesen, sie dürfen weder stehen noch zum Sitzen dienen. Und die Puppen sind „Platzhalter fürs Ich, Du oder Wir. Zum Beispiel in abstrakten Landschaften“, so Knowles.
Er arbeitet viel mit Spachtelmasse, Tiefengrund und Kleister, das sind die einzigen Sachen, die er kauft. Einen Titel für das jeweilige Objekt hat er oft schnell. „Damit sage ich am ehesten, was es ist. Mit Worten ist es kaum auszudrücken“, sagt er. Am besten sei er, wenn er den Perfektionisten in sich austrickse und nicht denke. Zum Beispiel habe er sich einmal geärgert, als ihm ein Puppenkopf mehrmals auf den Boden fiel. Doch dann habe er gesehen: Die Risse gehören dazu. „Vermeintliche Fehler, vermeintliches Scheitern finde ich ganz wunderbar.“ Das meiste mache er ohnehin zum ersten Mal und wisse nicht, ob es funktioniere. Beglückend sei es, „wenn mir gelingt, etwas zu erzählen, was ich noch nicht wusste.“
Zaunpfahl aus den Ardennen
Material für seine Kunstwerke hat Maurus Knowles haufenweise, und es wird immer mehr. Als Freund des ehemaligen Hausmeisters durfte er in Kellern stöbern, alte Kuchenpappen eines Bäckers bergen, die skurrile Werbetafel eines Bestatters und vieles andere mehr. Oder ein Freund brachte ihm einen Zaunpfahl aus den Ardennen mit, der zu einer Skulptur werden will.
Etliches kommt erst nach Jahren zum Einsatz. Doch manchmal passt es zeitlich perfekt. So hat sich Knowles erst kürzlich vorgenommen, etwas zum Thema Queerness zu machen. Und gerade da schenkte ihm ein guter Bekannter Schaufensterpuppen, darunter sechs Jugendliche, denen ihr Geschlecht nicht eindeutig anzusehen ist. Sie werden bald über fliegenden Stühlen zu sehen sein. Der deutsch-englische Titel: „Don’t tell me who I am / Zwischen den Stühlen“. Im Herbst sind sie Teil seiner Ausstellung in einer Moabiter Kunstgalerie.
Einer der großen Kunststoffpuppen hat er „eine richtige Haut verpasst, die Inneres mit Äußerem verbindet“, so Knowles. Die untere Schicht besteht aus plattgewalzter Stahlwolle, darüber legen sich in Streifen geschnittene Blätter aus der „Roten Liste“, dem deutschen Arzneimittelverzeichnis – ebenfalls gefunden auf der Straße. Zuletzt hat der Künstler mehrfach sauren Tapetenkleister aufgetragen. Das Resultat: Rost schlägt durch die neue Haut. Der Betrachter ist frei zu interpretieren.
Buchhändler und Buchhalter
Kunst zu machen ist seit 2007 ein wichtiger Teil in seinem Leben. Doch ausschließlich widmet er sich ihr erst seit wenigen Jahren. Lange war der ausgebildete Buchhändler und Buchhalter in der Kultur- und Medienbranche tätig – so in einer Schauspieleragentur, beim Film, beim schwulen Buchladen „Männerschwarm“ in Hamburg. Doch dann wollte er raus aus dem Angestelltenleben. Zusammen mit seinem Mann eröffnete er im Jahre 2016 das „Ludwig“ in der Anzengruberstraße 3.
Eine Adresse mit Tradition. Denn dort gab es von Anfang an, seit 1909, eine Kneipe. Sich der Historie bewusst, investierten die beiden viel Zeit und Kraft in die Sanierung. Das Ludwig – nach dem Vornamen des Schriftstellers Anzengruber – war eine Kunstkneipe mit Lesungen, Musik, Drag-Shows und durchgehend mit Ausstellungen. „Die Ausstellungen waren mein Herzensanliegen. Ich war gleichzeitig Kurator, Eventmanager und Wirt, die geilste Zeit meines Lebens“, so Knowles.
Doch das Konzept ging finanziell nicht auf. „Wir hatten und haben eine gewisse Verachtung für die sogenannte Kunstszene und keine Lust auf Schnöselpublikum. Wir hatten auch nicht die Erwartung, viel zu verkaufen, sondern wollten die Leute einfach an Kunst heranführen“, erzählt Knowles. Das bedeutete: Damit einerseits auch die Nachbarn kommen, durften die Getränkepreise nicht zu hoch sein, andererseits sollte der Tresenumsatz das künstlerische Programm finanzieren – und die hohe Miete. Es klappte nicht, das Ludwig musste 2019 schließen. Knowles brauchte danach eine ganze Zeit lang, um sich zu berappeln. Trotzdem sei es gut gewesen, sagt er. „Es kamen Kunstinteressierte, die sich darüber freuten, unter acht Weinen wählen zu können, und gleichzeitig Leute von nebenan, die geguckt haben, was da gerade an der Wand hängt.“ Auch wenn beispielsweise der Anblick eines riesigen halbnackten Mannes für manchen ungewöhnlich war. „Aber Kunst soll ja vielleicht auch irritieren.“
Maurus Knowles wohnt nicht weit entfernt von seiner ehemaligen Kneipe. Und er hat das Glück, eine große Wohnung zu haben, in der überall seine fertigen und halbfertigen Kunstwerke stehen und hängen. Manchmal allerdings wünscht er sich ein eigenes Atelier, aber bei den hohen Mieten würde für ihn der ökonomische Druck steigen, seine Kunst zu verkaufen. Und das will er nicht. „Schön wäre ein Atelier aber schon. Das geht vielen Künstlern so. Hätten sie ein bisschen mehr Platz, wäre der Effekt groß.“
Mehr über Marus Knowles zu erfahren ist auf instagram.com/jemand_aus_rixdorf.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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