Lieber mal was falsch machen als gar nichts
Pfarrer Jan von Campenhausen bringt frischen Wind in seine 4500-köpfige Gemeinde
„Kommet her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid“ ist über dem Eingang der Philipp-Melanchthon-Kirche in Stein gemeißelt. Das Jesuswort versteht Pfarrer Jan von Campenhausen als Auftrag. Seit vier Jahren ist er Pfarrer der evangelischen Fürbitt-Melanchthon-Gemeinde und hat seitdem einiges bewegt.
Dass Obdachlose von Sonnabend auf Sonntag im Kirchenraum übernachten können, ein Abendessen und Frühstück bekommen, das war schon vor seiner Zeit so. Dass dieses Angebot in der Kranoldstraße 16 während der Corona-Pandemie aufrechterhalten wurde, ist jedoch ihm zu verdanken. „Mir war klar: Wir können die Tür nicht einfach zumachen“, sagt er. Ein ausgefeiltes Hygienekonzept ermöglichte die Fortsetzung. Nicht allen gefiel das. Die Wohnungslosen stinken, hieß es hier und da. Von Campenhausens Antwort: „Euer Herr und Heiland wurde in einem Stall geboren, da hat es auch gestunken.“ Punkt.
Selbst Udo Lindenberg hat er in den Dienst der guten Sache gestellt. Als der Panikrocker im vergangenen Jahr seinen 75. Geburtstag feierte, gratulierte die Gemeinde mit einem Konzert. Dabei wurden Texte und Lieder Lindenbergs Werken von Martin Luther gegenübergestellt. „Wenn Luther sagt: ‚Hier stehe ich und kann nicht anders‘, höre ich Lindenbergs ‚Ich mach mein Ding‘“, sagt von Campenhausen. Eine CD wurde gepresst, ein Euro aus dem Verkauf jeden Exemplars geht an die Obdachlosenhilfe. Aus der Arbeit mit Menschen, die auf der Straße leben, sei ein weiteres Projekt gewachsen, erzählt der Pfarrer. Einmal im Jahre werden bei einer Feier die Namen von „ordnungsbehördlich bestatteten“ Personen in der Kirche verlesen. Damit gedenkt die Gemeinde derer, die in Neukölln einsam gestorben sind.
Bibellabor für Kinder
Von Campenhausen will die Kirche weiter öffnen, schauen, was die Menschen brauchen, auftrags- und projektorientiert sein. „Lieber mal was falsch machen, als gar nichts machen. Wir können ausprobieren“, sagt er. Inzwischen beherbergt die Kirche zum Beispiel das Bibellabor der Cansteinischen Bibelanstalt, in dem Kinder und Jugendliche unterschiedliche Bibeln oder den Nachbau der Gutenberg-Druckerpresse kennenlernen. Texte aus dem Neuen Testament oder Gottesdienste werden im Computerspiel Minecraft umgesetzt oder Grundschulkinder bauen Szenen mit Legofiguren nach.
Apropos Jugendarbeit: Die Neuköllner Gruppe des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM) hat vor Kurzem ihr Gründungsfest auf dem Hof der Melanchthon-Kirche gefeiert. Das seien Menschen, die etwas tun wollen und genau die richtigen Partner, so von Campenhausen. Einer seiner Wünsche ist, gemeinsam mit ihnen eine christliche WG auf Zeit aufzubauen, die sich ebenfalls um Jugendarbeit kümmert. Passende Wohnungen samt Dachterrasse gibt es im Kirchengebäude, die bisherigen Mietverträge sind gerade ausgelaufen.
Offen ist die Kirche auch im wahrsten Sinne des Wortes. In der Regel bleiben die Türen an fünf Tagen in der Woche zwischen 7 und 14 Uhr unverschlossen. Vikar Spiros Mavrias, der über das Bibellabor zu seiner Pfarrerausbildung in der Gemeinde fand, erzählt, vor allem Kinder hätten keine Scheu, in die Kirche zu kommen, die Eltern folgten dann. Und neulich habe er ein 19-jähriges Mädchen getroffen, das einfach einen Ort suchte, um in Ruhe zu weinen. Von Jan von Campenhausens Arbeit ist er sehr angetan: „Die Kirche ist wie ein Hafen für so viele coole Vereine und Initiativen“, sagt er.
"Mit Gott ins Wochenende"
Tatsächlich treffen sich dort Chöre, zwei schwarze Gastgemeinden und eine türkisch-evangelische feiern regelmäßig Gottesdienste, der CVJM lädt montags zu italienischen Abenden mit Spaghetti und Rotwein, es gibt Meditationen, ein Kirchencafé mit Mulitmedia-Sprechstunde, Seniorentanz und vieles mehr. Einmal im Monat heißt es: „Suchet der Stadt Bestes – Mit Gott ins Wochenende“, dann werden diverse Gäste wie ein Tätowierer oder ein Bestatter eingeladen.
Bei allen Veranstaltungen und Aktionen – für Jan von Campenhausen hat das Wort großes Gewicht. Worte brauche der sterbende Mensch, der verlassene, der verzweifelte. In einem Podcast des Heimathafens Neukölln sagt er, die Tat verstehe jeder. Viel schwieriger, aber mindestens ebenso wichtig sei es, die Gründe für sein eigenes Handeln zu erklären, zum Beispiel das Engagement für Obdachlose. „In ihnen begegnet mir Jesus Christus, Gott, der an mir und an anderen handelt. Und da ist die gleiche Würde.“ Als Pfarrer möchte er dazu beitragen, dass Menschen „fröhlich leben und getröstet sterben“.
In der Langen Nacht der Religionen am 11. Juni lädt die Fürbitt-Melanchthon-Gemeinde zu einer Veranstaltung mit dem Kabarettisten Martin Buchholz ein. Er präsentiert sein Programm „Alles Liebe! Lieder und Geschichten über das Geschenk des Himmels“. Beginn ist um 19 Uhr. „Das wird ein Abend zwischen Lachen und Weinen, versprochen!“, so von Campenhausen.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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