Wo sich West- und Ostberliner in die Fenster schauen konnten
Knapp 45 Kilometer lang war die Mauer, die einst West- und Ost-Berlin teilte, 15 Kilometer davon trennten Neukölln und Treptow. Besonders spektakulär war der Verlauf im dichtbebauten Lohmühlenkiez.
Ein Spaziergang entlang des gepflasterten Streifens, der den ehemaligen Standort des 3,60 Meter hohen Betonbauwerks markiert, lohnt in diesem Quartier ganz besonders. Ein eindrucksvolles Beispiel ist die Bouchéstraße.
Im Abschnitt zwischen Harzer und Heidelberger Straße stand die Mauer direkt zwischen den sich gegenüberliegenden Häusern. Die Bewohner konnten sich in die Fenster schauen, von der Hauptstadt der DDR nach West-Berlin und umgekehrt. Der ursprüngliche Bürgersteig vor den Gebäuden im Westen gehörte allerdings offiziell zum Osten. Nur die Vorgärten lagen noch auf Westareal. Deshalb wurden diese später als Gehwege umgebaut – denn sicher war sicher.
Die Anwohner im Osten konnten nur mit einem Passierschein zu ihren Häusern gelangen. Regelmäßig schauten sich Grenzer auf den Höfen um, ob es dort Leitern gab, die bei einer Flucht dienlich gewesen wären. Nicht ohne Grund: Am 17. März 1962 war es an der Heidelberger Straße tatsächlich jemandem gelungen, mit einer Leiter die Mauer zu überwinden.
Wenig später, am 11. Juni desselben Jahres, schafften es 55 Menschen durch einen 75 Meter langen Tunnel von Treptow nach Neukölln zu kommen. Ausgangspunkt war ein Lokal an der Ecke Heidelberger- und Elsenstraße. An der Bouchéstraße selbst gab es 1983 eine aufsehenerregende Flucht mit einem von Haus zu Haus gespannten Seil.
Neuköllner, die damals in dem schmalen Dreieck Kiehlufer, Bouché- und Harzer Straße lebten, konnten mit dem Auto nur über die rund 500 Meter entfernte Wildenbruchbrücke in ihr Wohngebiet gelangen. Die Lohmühlenbrücke, die direkt vor der Haustür lag, war lange Jahre gesperrt. Sie kam erst 1988, also kurz vor der Wende, im Rahmen eines Gebietsaustausches zum Westen.
Für die Fußgänger war es dagegen einfacher: 1962 wurde der Kiehlsteg nur wenige Meter südlich der Lohmühlenbrücke über den Neuköllner Schifffahrtskanal gebaut. Der 33 Meter lange Übergang ist inzwischen jedoch verschwunden.
Trotz großer Proteste wurde der Kiehlsteg im Frühjahr 2014 abgerissen. Rund eine Viertelmillion Euro hätte die Sanierung des geschichtsträchtigen Bauwerks gekostet, das war es dem Berliner Senat nicht wert. Übrigens hat die Mauerlage Neuköllns den Schriftsteller Herbert Rosendorfer im Jahr 1979 zu einer sehr lesenswerten Spionage-Satire inspiriert: „Das Messingherz“ spielt zu großen Teilen im Kiez rund um die Harzer Straße. Der einstige Mauerverlauf ist heute mit Pflastersteinen auf der Straße markiert.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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