Menschen von nebenan
Zum dritten Mal zeigt die Neuköllner Fotografin Gisela Gürtler Gesichter aus dem Kiez
Vor vier Jahren hat die Neuköllner Fotografin Gisela Gürtler angefangen, Menschen aus dem Reuterviertel zu porträtieren. Und das Projekt „Kiez Gesichter“ lässt sie nicht los. Am Freitag, 23. September, um 18 Uhr eröffnet sie ihre neue Freiluftausstellung. Dann werden wieder rund 20 Bilder im DIN-A0-Format die Wand des Seniorenhauses an der Ecke Reuter- und Pflügerstraße zieren.
Dieses Mal hat Gisela Gürtler einiges anders gemacht. Statt sich wie bisher nur auf die Gesichter zu konzentrieren, ließ sie nun die Menschen stärker selbst entscheiden, wie und in welcher Umgebung sie sich zeigen wollten. „Ich habe mich mehr auf die Unterschiede eingelassen.“ Auch in Sachen Technik war sie nicht mehr so streng. „Im Unterschied zu vorher habe auch mal ein Hochformat gemacht und auch mit künstlichem Licht gearbeitet. Vorher dachte ich, das zerstöre das aufgebaute Band. Doch das stimmte nicht.“
Ihre Gesichter findet Gürtler dank ihrer Neugier und Offenheit. Auch wenn es ihr manchmal nicht leichtfällt, die Menschen anzusprechen. So ging es ihr bei dem obdachlosen Mann, der Tag für Tag an derselben Bushaltestelle sitzt – immer mit einem Buch vor der Nase. „Reden wollte er am Anfang gar nicht. Ich habe mich dann einfach neben ihn gesetzt und die Welt an mir vorbeiziehen lassen“, erzählt sie. Schließlich sagte der Mann gerade einmal drei Sätze über sein Leben. „Die haben aber Tiefe“, so Gürtler. In der Ausstellung werden sie nachzulesen sein, denn zu jedem Porträtierten gehört auch ein kurzer Text.
Das Plakat zur Schau zieren die Zwillinge Paul und Hansen Hoepner. Gisela Gürtler hat die beiden in ihrer Werkstatt abgelichtet. „Obwohl es mein Anspruch als Fotografin ist, den Blick des Betrachters zu lenken, wollte ich hier das Auge wandern lassen und die Schönheit dieser Werkstatt darstellen“, erzählt sie. Die Brüder erfinden und bauen dort alles Mögliche, gerade haben sie ein Segelboot restauriert und sind damit auf eine große Reise gegangen.
Einen anderen Mann fand sie über den Geruchssinn. Die Fotografin ließ sich anziehen von den ätherischen Öle, die er herstellt. Auf den nächsten wurde sie aufmerksam, weil er oft in einem Café an der Hobrechtstraße sitzt und stets nett grüßt. Es stellte sich heraus, dass er der Bruder eines bekannten Schauspielers ist. „Ein ganz bodenständiger und unheimlich netter Mensch“, so Gürtler. Es erstaunte sie, dass er sein Porträt in Schwarz-Weiß wünschte. „Aber so sieht er sich.“
Sie begegnete herzensguten und ganz unterschiedlichen Gesichtern. „Das war bewegend und bereichernd. Der Kiez ist wirklich bunt, und damit meine ich nicht nur die unterschiedlichen Nationalitäten“, sagt die Fotografin. Aber die gibt es im Reuterkiez selbstverständlich. So lernte sie einen Japaner kennen, der ihr überaus höflich und freundlich begegnete. Als Gürtler ihn fragte, ob das in seiner Kindheit und Kultur begründet liege, erzählte er seine Geschichte. Es stellte sich heraus, dass er alkoholkrank war und seine Heimat verließ, um in Berlin neu anzufangen. „Dass ich das auch im Begleittext schreiben durfte, finde ich sehr mutig von ihm“, so Gürtler.
Annähernd 70 Kiezgesichter hat Gisela Gürtler bereits in Szene gesetzt, inzwischen spielt sie mit dem Gedanken, ein Buch daraus zu machen. Doch jetzt stehe erst einmal die neue Ausstellung an. Besonders freut sie sich darüber, dass auch frühere Kiezgesichter vorbeikommen, einer wird selbstgebackene Scones, ein englisches Gebäck, mitbringen. Auch für südamerikanische Musik ist bei der Veranstaltung gesorgt. Die Bilder sollen bis Ende Oktober hängen bleiben.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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