Quer durch das kriminelle Neukölln: Unterwegs mit Zivilfahnder und Hauptkommissar a.D. Karlheinz Gaertner

Karlheinz Gaertner lebte viele Jahre im Norden Neuköllns, bevor er sich in Rudow niederließ. | Foto: Schilp
2Bilder
  • Karlheinz Gaertner lebte viele Jahre im Norden Neuköllns, bevor er sich in Rudow niederließ.
  • Foto: Schilp
  • hochgeladen von Susanne Schilp

Neukölln. Er kennt die dunklen Seiten Neuköllns wie kein Zweiter: Karlheinz Gaertner hat hier vier Jahrzehnte lang Verbrecher gejagt. Nun lädt er regelmäßig zu einem Streifzug durch den Kiez ein. Die nächste „Crime & Wein“-Führung findet am 27. Mai statt.

Rauschgifthandel, Gewalt, Raub, Missbrauch und organisiertes Verbrechen waren sein täglich Brot. An rund 5000 Festnahmen sei er beteiligt gewesen, schätzt Gaertner, der in Rixdorf geboren wurde und heute in Rudow lebt. Er arbeitete als Bereitschaftspolizist, ziviler Fahnder auf den Straßen, zuletzt als Dienstgruppenleiter an der Wildenbruch- und Rollbergstraße.

Klar, dass der Mann viel gesehen und erlebt hat. Davon berichtet er während der etwa eineinhalbstündigen Tour, die vom Hermann- zum Richardplatz führt. Da gab es die alte Dame aus der Hobrechtstraße, die von einem „Nachläufer“ vom Geldinstitut bis in den Hausflur verfolgt und brutal überfallen wurde. Oder die Kollegin, die in einem Haus wegen Verdachts auf häusliche Gewalt ermitteln wollte. Im Hinterhof angekommen, sah sie den abgeschlagenen Kopf der Ehefrau auf sich zufliegen. Oder die „Panzerknackerbande“, die sich so dumm anstellte, dass sie einfach gefasst werden musste.

Skurriles neben Schrecklichem, harmlose Gauner neben skrupellosen Gangstern – davon erzählt Gaertner. Ganz nebenbei möchte er die unterschiedlichen Gesichter Neuköllns zeigen. „Zum Beispiel ist die arabische Meile, die Sonnenallee, nur wenige Meter von Kreuzkölln entfernt. Auch dort werden viele Sprachen gesprochen, englisch, spanisch, italienisch, aber kaum arabisch“, sagt er.

Das Böhmische Dorf sei wieder eine komplett andere Welt. Ganz in der Nähe endet die Führung in einem mediterranen Weinkeller, der normalerweise nicht öffentlich zugänglich ist. Dort gibt es Prosecco, leckere Schnittchen, Wein und reichlich Zeit für Gespräche.

Aber Karlheinz Gaertner ist kein abgeklärter Polizeibeamter im Ruhestand, der gerne Anekdoten erzählt. Die Verrohung, besonders unter Jugendlichen, macht ihm ernsthaft zu schaffen, genauso wie beispielsweise die organisierte Kriminalität der weitverzweigten libanesischen Großfamilien. „Da habe ich schon Männer in der dritten Generation verhaftet“, erzählt er.

An die Öffentlichkeit trat Gaertner schon vor einigen Jahren. Er tat noch Dienst, als ihn Quartiersmanager Fadi Saad ansprach. Denn besonders viele Messerstechereien waren wieder an der Tagesordnung. Saad, der selbst einmal Mitglied einer Jugendgang war, wollte gemeinsam mit Gaertner ein Zeichen gegen Jugendgewalt und Bewaffnung setzen. Sie organisierten ein Fußballturnier im Körnerkiez. Geschäftsleute, Feuerwehr, Polizei, Bezirksamt und etliche der berüchtigten Jugendlichen bildeten Mannschaften und traten gegeneinander an.

„Das war nicht einfach. Gerade die Feuerwehrleute und meine Kollegen hatten wenig Lust dazu. Schließlich mussten sie ja ständig Angriffe und Beschimpfungen dieser jungen Männer aushalten.“ Kraft seiner Autorität habe er dann „sanften Druck“ ausgeübt. Das Turnier wurde ein Erfolg, es blieb friedlich, man kam miteinander ins Gespräch. Inzwischen sind die Spiele zur Tradition geworden.

Der Kontakt mit Fadi Saad hatte Folgen: Gaertner schrieb mit ihm zusammen sein erstes Buch „Kampfzone Straße“, das 2012 veröffentlicht wurde. Ein weiteres folgte, sein drittes ist gerade erschienen. Es trägt den Titel „Sie kennen keine Grenzen mehr“, und es beschreibt die Belastungen von Polizisten, die von Teilen der Gesellschaft verachtet und als Fußabtreter behandelt werden.

Die nächste „Crime & Wein“-Führung findet statt am Sonnabend, 27. Mai. Treffpunkt ist um 16 Uhr auf der Mittelinsel des Hermannplatzes. Die Kosten betragen 29,50 Euro. sus

Die Teilnehmerzahl ist auf 20 Personen begrenzt. Bitte anmelden unter 0174/934 83 09.

Karlheinz Gaertner lebte viele Jahre im Norden Neuköllns, bevor er sich in Rudow niederließ. | Foto: Schilp
Karlheinz Gaertner mit seinem jüngsten Buch. Foto: Schilp | Foto: Schilp
Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

29 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Das Team von Optik an der Zeile freut sich auf Ihren Besuch. | Foto: privat

Optik an der Zeile
16. Brillenmesse vom 5. bis 7. Dezember 2024

40 Jahre Augenoptik-Tradition im Märkischen Viertel, das feiern wir immer noch in diesem Jahr 2024. Feiern Sie mit uns und profitieren Sie von unseren Jubiläumsangeboten. Kommen Sie zu uns und staunen Sie über die Vielfalt der Angebote. Anlässlich unserer 16. Brillenmesse vom 5. bis 7. Dezember 2024 bieten wir Ihnen die gesamte Kollektion namhafter Designer. Sie können aus einer riesigen Auswahl Ihre Brille finden. Mit vielen schönen Brillengestellen und den Brillengläsern von Essilor und...

  • Märkisches Viertel
  • 13.11.24
  • 554× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 840× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Wie Sie Rückenschmerzen durch fortschrittliche Behandlungskonzepte in den Griff bekommen, erfahren Sie am 3. Dezember. | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Ihre Optionen bei Beschwerden
Moderne Therapien an der Lendenwirbelsäule

Um "Moderne Therapien an der Lendenwirbelsäule – Ihre Optionen bei Beschwerden" geht es beim Patienteninformationsabend am Dienstag, 3. Dezember. Rückenschmerzen, Ischias-Beschwerden und Bewegungseinschränkungen im Bereich der Lendenwirbelsäule gehören zu den häufigsten orthopädischen Problemen. An diesem Infoabend erhalten Sie Einblicke in aktuelle Therapiemöglichkeiten und fortschrittliche Behandlungskonzepte. Unser Wirbelsäulenspezialist Tim Rumler-von Rüden erklärt, wie moderne Technologien...

  • Reinickendorf
  • 07.11.24
  • 817× gelesen
  • 1
WirtschaftAnzeige
Für rund 105.000 Haushalte im Bezirk Lichtenberg baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom
2 Bilder

Telekom macht's möglich
Schnelles Glasfasernetz für Lichtenberg

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes im Bezirk Lichtenberg auf Hochtouren. Damit können rund 105.000 Haushalte und Unternehmen in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Karlshorst, Lichtenberg und Rummelsburg einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Schnell sein lohnt sich Wer jetzt einen Glasfaser-Tarif bei der Telekom beauftragt, gehört...

  • Bezirk Lichtenberg
  • 30.10.24
  • 1.193× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.