Vier Pfiffe machten ihn berühmt
Reinhold Habisch war der größte Fan des Sechstagerennens
Auf dem St.-Thomas-Friedhof an der Hermannstraße 179 ruht ein Berliner Original: Reinhold „Krücke“ Habisch. Nun haben Azubis des Grünflächenamts sein Ehrengrab wieder in einen ansehnlichen Zustand gebracht.
Er sei „populärer als der Oberbürgermeister“, attestierte ihm einst der große Boxer Max Schmeling. Geboren wurde Habisch 1889, vor 130 Jahren. Als Jugendlicher geriet er auf rutschigem Boden unter eine Straßenbahn. Er blieb auf eine Gehhilfe angewiesen, seine Krücke. Damit war der Traum für eine Radsportlerkarriere ausgeträumt. Doch seiner Begeisterung tat das keinen Abbruch. Nach und nach wurde Krücke zur schillerndsten Figur des Berliner Sechstagerennens, das seit 1911 im Sportpalast stattfand. Vom Heuboden aus – den billigen Stehplätzen unterm Dach – heizte er mit seinen Anfeuerungsrufen und seiner großen Klappe die Atmosphäre an. Und er war mit fast allen Radfahrgrößen auf du und du.
Über die Grenzen der Hauptstadt hinaus berühmt wurde er aber mit einem anderem Coup: 1923 erklang zum ersten Mal das Stück „Wiener Praterleben“ beim Sechstagerennen. Schon ein Vierteljahrhundert zuvor hatte es der damals erst 17-jährige Siegfried Translateur geschrieben und Händeklatschen in die Komposition integriert. Es war Krücke, der das Klatschen durch vier Pfiffe ersetzte: Der „Sportpalastwalzer“ war geboren.
Markante Stimmungskanone
Ein durchschlagender Erfolg: „Die ganze Galerie pfeift mit. Ein Freund von mir hat einmal gezählt, dass der Walzer in einer halben Stunde achtmal gespielt wurde“, erinnerte sich Translateur. Weil die Nazis ihn als Halbjuden einstuften, verboten sie 1933 den Sportpalastwalzer. Das Publikum pfiff weiter.
Reinhold Habisch wurde als Stimmungskanone auch in andere Städte eingeladen, zweimal spielte er sich in Filmen selbst. Einen echten Beruf hatte er nie erlernt, er schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch. 1928 schenkte ihm sein enger Freund Max Schmeling das Startkapital für einen Zigarrenladen. Krücke brachte ihn jedoch nicht über den Zweiten Weltkrieg und versuchte, sich mit einem mobilen Obst- und Gemüsestand über Wasser zu halten, mehr schlecht als recht. Aber er ließ sich nicht unterkriegen: Als Kleinrentner fuhr er von seiner Kreuzberger Wohnung aus mit einem alten Beiwagenmotorrad durch Berlin, machte Botengänge, verkaufte Karten für Sportveranstaltungen und erledigte, was sonst noch so anfiel.
Einen Tag vor seinem 75. Geburtstag starb er und wurde auf dem Neuköllner Friedhof beigesetzt. Damals begleiteten ihn viele Menschen auf seinem letzten Weg. Lange war seine Ruhestätte fast in Vergessenheit geraten, Koniferen verdeckten den Grabstein. Jetzt bietet sich Besuchern wieder ein würdiger Anblick.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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