Starke Frauen, viel Müll, keine No-go-Areas
Gesprächsforum im Rathaus über Neuköllner Probleme/ Thema vor allem der Norden
„Neukölln – Probleme und Perspektiven eines Bezirks“, das war der Titel eines Leserforums, zu dem die Berliner Morgenpost am 29. April ins Rathaus geladen hatte. Zentrale Themen waren Müll, organisierte Kriminalität, Bildung und Sicherheit.
Zuerst machte Moderator Hajo Schumacher jedoch „Neuköllns starken Frauen“ seine Aufwartung. Er nannte stellvertretend Tanja Dickert, Leiterin der Touristinformation im Rathaus, Simi Will mit ihrer Kneipen-Talkshow in den Valentin Stüberl („besser als Ina Müller“), Lissy Eichert, Pastoralreferentin der Christophorus-Gemeinde („meine Kandidatin für die erste Päpstin“) und die ehemalige Bürgermeisterin Franziska Giffey, „in die ich sehr verliebt bin“.
Dann wurde es ernst. Auf die Frage, ob die Vermüllung öffentlicher Flächen tatsächlich ein so großes Problem sei, konnte Bürgermeister Martin Hikel (SPD) nur nicken. „Fast nichts bewegt die Neuköllner mehr. Allein an Sperrmüll mussten wir im vergangenen Jahr 11 000 Tonnen abtransportieren“, sagte er. Das Ordnungsamt habe kürzlich neue Mitarbeiter eingestellt, von denen einige auch mit einem Zivilfahrzeug unterwegs seien, um Umweltsündern besser auf die Spur zu kommen.
Illegal entsorgter Sondermüll
Ein besonderer Dorn im Auge seien ihm Firmen, die einfach ihren Bauschutt abladen würden. „Das dauert lange, ihn zu entsorgen, weil erst Proben genommen werden müssen. Bei den Anwohner entsteht dann der Eindruck, wir täten nichts“, so der Bürgermeister. Er forderte unter anderem wesentlich höhere Strafen für die Täter.
Gibt es No-go-Areas in Neukölln, also Orte, die man besser meiden sollte, wollte Schumacher wissen. „Definitiv nicht“, sagte Dirk Laube, Polizeioberrat von der Direktion 55, unter anderem für das Rollbergviertel verantwortlich. Definitiv nicht, meinte auch Hikel, das beweise allein die Tatsache, dass so viele Menschen in den Bezirk zögen. Morgenpost-Reporterin Nina Kugler, die am S-Bahnring wohnt, teilte diese Meinung uneingeschränkt – auch wenn ihre Stuttgarter Eltern sie eindringlich vor Neukölln gewarnt hätten.
Beim Thema „Clankriminalität“ herrschte weniger Einigkeit. Dirk Laube konnte und wollte keine konkreten Zahlen nennen, dafür sei der Begriff zu undefiniert. Den Vorwurf, die Polizei habe jahrelang nicht auf die Machenschaften arabischer Großfamilien reagiert, wies er zurück. Sevil Yildirim, Psychologin und Leiterin des Mädchentreffs Madonna, sieht das anders. Selbst im Rollbergviertel aufgewachsen, habe sie erlebt, wie immer wieder weggeschaut wurde und werde.
Ducken vorm Clannamen
„Kinder und Jugendliche aus diesen problematischen Großfamilien verlassen sich oft auf ihren Nachnamen, drängeln sich überall vor und machen, was sie wollen. Und erst jetzt wird darüber geredet“, sagte sie. Eltern legten oft keinen Wert auf Bildung, besonders bei Mädchen nicht. Apropos Mädchen: Auch unter ihnen gebe es etliche, die gewaltbereit und kriminell seien. Diese Gruppe würde aber eher nicht in Treffs wie das Madonna kommen, deshalb sei aufsuchende Arbeit sehr wichtig, so Yildirim.
Mit diesem Thema kennt sich auch Astrid-Sabine Busse, Leiterin der Grundschule an der Köllnischen Heide, aus. Rund 80 Prozent ihrer Schüler haben arabische Wurzeln. Alle Kinder hätten den Willen zu lernen, Schule könne aber nur zu 25 Prozent zum Bildungserfolg beitragen, betonte sie. Sie würde gerne mehr tun: „Manchmal wünschte ich mir einen Internatsbetrieb von montags bis freitags“, sagte sie. Außerdem sei sie eine Befürworterin von Gemeinschaftsschulen, in denen die Kinder von der ersten bis zur zehnten Klassen zusammenbleiben. „Es ist oft ein großes Problem, sie an Oberschulen abzugeben.“
Ihr Hauptproblem: zu wenig gut ausgebildetes Personal. Immerhin hätte inzwischen ein Drittel der Pädagogen an der Köllnischen Heide selbst einen Migrationshintergrund, das helfe sehr. „So erfahren wir manchmal erst, wie die Eltern über uns denken und das ist nicht immer schön“, sagte sie.
Persönliche Sorgen weichen ab
Nach den Gesprächen auf dem Podium wurden Fragen und Meinungen der Besucher gesammelt. Vielen brannten ganz andere Themen auf den Nägeln. Harsche Kritik kam beispielsweise von einem Rudower, der sich gegen die geplante Wohnbebauung des Mettefeldes richtete (Näheres zu diesem Thema lesen Sie in unserer kommenden Ausgabe). Martin Hikel sagte, im ganzen Bezirk könnten bis zum Jahr 2030 rund 7500 Wohnungen entstehen, das sei nicht viel. „Wir dürfen uns nirgends grundsätzlich dem Neubau verweigern“, sagte er.
Eine Neuköllnerin beklagte die große Konzentration von Shisha-Bars an der Sonnenallee, ein Bewohner der Gropiusstadt den immer stärkeren Verkehr auf der Fritz-Erler-Allee. „Unsere Nachtruhe dauert höchstens drei Stunden“, sagte er. Die Polizei forderte er auf, ein größeres Augenmerk auf die Neuköllner Straße zu legen, wo häufig Autorennen stattfänden. Ein anderer beklagte die zunehmende Rücksichtslosigkeit Radfahrern gegenüber, er werde fast täglich von Autofahrern beschimpft.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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