EU-Sozialkommissar László Andor besuchte Neukölln
Erste Station der Visite war die Hans-Fallada-Schule. Die Ganztagsschule mit einem sonderpädagogischen Förderzentrum betreibt einen hohen Aufwand, um ihre Migrantenkinder gut zu versorgen. 380 Schüler von 420 haben nichtdeutsche Wurzeln. Die meisten sind türkischstämmig, gefolgt von arabischen Kindern. An dritter Stelle stehen Rumänen und Bulgaren. "Wir dürfen keine ethnische Statistik führen", sagt Franziska Giffey. Die Stadträtin schätzt aber, dass die überwiegende Zahl dieser Kinder Roma seien.
Waren es vor rund vier Jahren jede Woche noch drei bis zehn Kinder aus rumänischen und bulgarischen Zuwandererfamilien, die eingeschult werden mussten, kommen sie heute gleich in Klassenstärke. Es geht nicht nur darum, Deutschkenntnisse zu vermitteln. Es geht oft auch um die Vermittlung grundlegender Fertigkeiten wie den Umgang mit Schreibstiften und Schere oder Schnürsenkeln.
"Wir haben unsere Schmerzgrenze erreicht", gibt Giffey zu. Neukölln spüre unmittelbar die Folgen der Armutszuwanderung, gepaart mit Analphabetismus, geringer Berufsqualifikation und fehlender Krankenversicherung. Und das in einem 300.000-Einwohner-Bezirk, in dessen Schulen 80 bis 90 Prozent der Kinder Migrationshintergrund hätten und eine vergleichbar große Zahl auf Transferleistungen angewiesen sei. Franziska Giffey fürchtet um den sozialen Frieden.
Zweite Station war die Arnold-Fortuin-Wohnanlage gleich neben der Schule. Hier demonstrierte Benjamin Marx von der Aachener, einer katholischen Wohnungsbaugesellschaft aus Köln, dem Brüsseler Funktionär, wie man skandalöse Wohnverhältnisse zwischen Müllbergen in menschenwürdige ändern kann. "Das Mietshaus ist ein absoluter Ausnahmefall", musste Franziska Giffey ihrem Gast erklären. Durchaus nicht unüblich sei es, dass gerissene Hauseigentümer ihre Schrottimmobilien zu völlig überzogenen Mieten an Roma-Großfamilien vermieteten.
Die Hoffnung Franziska Giffeys auf Verständnis und Trost beim EU-Kommissar wurde enttäuscht. László Andor rief ein fröhliches "Weiter so" in Sachen Integrationsarbeit in die Runde. Rumänien und Bulgarien seien Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Ihre Bürger genössen die selben Rechte wie die der anderen Staaten auch, inklusive Niederlassungsfreiheit. Selbst wenn Rumänien und Bulgarien alle bereit gestellten EU-Gelder abriefe, würde das Roma-Problem nicht sofort gelöst. Außerdem müsse Deutschland ein großes Interesse an Einwanderern haben: Die Wirtschaft brauche sie genauso wie eine überalterte Gesellschaft.
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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