Idil Baydar als prollige Neuköllner Türkin erfolgreich
Sie kommt aus Neukölln, ist 18 Jahre alt, hat ihren mittleren Schulabschluss erst kürzlich nicht geschafft und trägt stets eine billige Jogginganzug-Imitation: Jilet Ayse ist das Klischee einer prolligen Türkin. Ihre Schwester hingegen, die das Gymnasium besucht hat, übertreibe ihre ganz andere Rolle, indem sie auch noch Jilets Freund kritisiert. O-Ton Jilet: "Ey, isch reg misch voll auf, die spinnt wohl, diese Integrationsnutte. Mein Freund ist voll gut, geht über Schulhof wie Tony Montana, macht Geschäfte, dies und das und so, du weißt schon."
Kurz nach Erscheinen von Thilo Sarrazins umstrittenen Buch "Deutschland schafft sich ab" stellte Idil Baydar zum ersten Mal ein Video mit ihrer Kunstfigur Jilet Ayse bei YouTube ein - als trotzige Antwort auf so viel Gleichmacherei: "Ich fühlte mich fremder hier als je zuvor und dachte: Guck mal, Deutschland, ich bin eines deiner Kinder, aber trotzdem siehst du mich als etwas Minderwertiges", sagt die inzwischen 38-Jährige.
Aus dem niedersächsischen Celle, wo sie die Waldorf Schule besucht hatte und bei ihrer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen war, kam Idil Baydar im Alter von 16 Jahren nach Berlin. "Plötzlich fragte mich hier jeder, warum ich so gut Deutsch spreche", erzählt sie.
Nachdem sie die Schule abgebrochen hatte, wusste die junge Frau trotz großen Tatendrangs lange nicht, wohin sie eigentlich im Leben will. Sie spielte kleinere Rollen an Theatern, ließ sich zur Sterbehilfebegleiterin ausbilden, machte Jugendarbeit in freien Einrichtungen. An der Rütli-Schule, wo sie zwei Jahre lang half, Schüler in Kursen auf ihren mittleren Schulabschluss vorzubereiten, lernte Idil Baydar viele türkische Jugendliche kennen: "Ich fragte mich, warum die aus ihren Fähigkeiten nicht viel mehr machen."
Und sie fand auch Antworten: "Ich gehöre noch zur Generation der Angepassten. Die nächste Generation der Einwandererkinder hat gesehen: Das klappt sowieso nicht, also lassen wir das. Weil sie als Fremde wahrgenommen werden, entwickeln sie eine Identität, die diesem Fremdsein entspricht."
Den Kindern, die oft noch in Familien mit streng hierarchischen Strukturen aufwachsen, fehle zudem "Autorität von außen". Dass ihre Sozialkritik bei den Jugendlichen, denen sie einen Spiegel vorhält, falsch ankommt, glaubt Idil Baydar nicht. "Dafür überzeichne ich Jilet doch viel zu sehr."
Autor:Sylvia Baumeister aus Neukölln |
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