"Mitten im Hayat": neue Stadtführung der Route 44
"Mitten im Hayat", zu Deutsch "Mitten im Leben" haben sich die beiden 22-jährigen Frauen für ihre neue Tour in dem Kiez ausgedacht, in dem sie selbst leben. Ein durchaus treffender Titel, denn beginnend an den Treppen des Rathauses Neukölln führen sie ihre Gäste in nördlicher Richtung an der belebten Karl-Marx-Straße entlang. Mit viel Enthusiasmus präsentieren sie auf dem zweistündigen Spaziergang, was ihnen selbst auf diesem Stück wichtig ist.
"Die Karl-Marx-Straße ist immerhin die zweitgrößte Einkaufsstraße Berlins" sagt Fatima. Stationen der von den Musliminnen selbst erarbeiteten Tour sind neben dem Rathaus mit Vorplatz das Amtsgericht, die Stolpersteine, eine Moschee, die Trödelmeile in der Flughafenstraße und die Neukölln Arcaden.
Kaum jemand weiß heute noch, dass der heutige Treffpunkt vieler Neuköllner nach seiner Eröffnung im Jahr 2000 zunächst ein Flop war. Ein Eigentümerwechsel und ein Umbau 2003 bescherten dem wieder eröffneten Center mit 60 Geschäften den gewünschten Erfolg. Vom Dach bietet sich eine wunderbare Aussicht auf die Stadt.
Zurück auf der Straße führt der Weg in Hinterhöfe ehemaliger Mietskasernen, die einst für Fabrikarbeiter gebaut wurden. Nach dem Elektrogeschäft Clavis, das in den 70er-Jahren einen Tag lang neue Farbfernseher für einen Pfennig verkaufte, führt die Tour zum Albert-Schweitzer-Gymnasium, an dem Meryem und Fatima ihr Abitur gemacht haben. Als Schülerinnen der 9. Klasse an der Röntgenschule hatten sie schon 2008 Gabi Kienzl kennengelernt, die gerade Stadtteilführerinnen für ihr neues Projekt Route 44 suchte. "Wir wollten den Anwohnerinnen, die mit vielen Vorurteilen kämpfen, Gelegenheit geben, ihren Kiez aus ihrem Blickwinkel vorzustellen", sagt die Projektleiterin des Vereins Kultur bewegt. Obwohl es seit zwei Jahren keine Förderung vom QM mehr gibt und der Verein große Nachwuchssorgen wegen fehlender Mittel für die Schulungen neuer Stadtteilführerinnen hat, laufen alle Touren der Route 44 bisher noch mit großem Erfolg.
Wohl deshalb, weil das Persönliche hier einen besonderen Stellenwert einnimmt und Gäste auch persönliche Fragen stellen dürfen. Etwa dazu, warum eine Studentin im Ingenieurwesen und eine Auszubildende als Pharmazeutisch-Technische Assistentin sonnabends in ihrer Freizeit eine Stadtführung machen, für die sie nur ein kleines Taschengeld erhalten.
Meryem erklärt das gern: "Wir wollen den Menschen unser Neukölln nahebringen, wo wir uns sehr wohl fühlen. Denn hier sind die Leute nett, hier ist irgendwie jeder anders."
Autor:Sylvia Baumeister aus Neukölln |
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