10 Jahre Groß-Berlin
Abseits der großen Politik – einige Schlaglichter auf den Neuköllner Alltag im Jahr 1920

Die Presse verrät viel über das Zusammenleben im Jahr 1920 in Neukölln. Es geht zuweilen ruppig zu, und hier und da treibt sich ein Gauner herum.
  • Die Presse verrät viel über das Zusammenleben im Jahr 1920 in Neukölln. Es geht zuweilen ruppig zu, und hier und da treibt sich ein Gauner herum.
  • hochgeladen von Susanne Schilp

Anfang Oktober 1920 geht es in den Zeitungen natürlich um Groß-Berlin und die neuen Zuständigkeiten. Aber auch andere Themen, kleine und große, interessieren die Menschen. Wir haben einen Blick ins „Neuköllner Tageblatt“ jener Zeit geworfen.

Meldungen über die Lebensmittelversorgung sowie die Fleisch- und Kartoffelpreise fehlen in fast keiner Ausgabe. Auch nach Kriegsende gibt es viele Waren nur auf Bezugsschein, das Tageblatt informiert über die Ausgabestellen.

Konjunktur haben die Wertstoffsammler. Sie kaufen Altmetalle und Papier auf. Auch Felle und Häute sind sehr gefragt. In Sachen Mode fällt die Menge von Hutgeschäften auf: Mann und Frau, die etwas auf sich halten, verlassen ohne Kopfbedeckung nicht das Haus. Innerhalb der Wohnung indes scheinen Gardinen unverzichtbar zu sein.

Nur auf den ersten Blick überraschend sind die vielen Heilsversprechen für Stotterer – die strenge wilhelminische Erziehung und die Schrecken des Ersten Weltkriegs haben offenbar Spuren in den Seelen der Menschen hinterlassen.

Hier eine kleine Sammlung von Meldungen aus den ersten Oktobertagen 1920:

Konflikte um Spätis gab es schon früher

• Der Neuköllner Verein der Papier- und Schreibwarenhändler beschwert sich: „Wenn man sonntags sowohl am Vormittag wie Nachmittag die Straßen durchwandert, kann man beobachten, dass nicht nur die Lebensmittelgeschäfte, sondern im weitesten Maße auch alle diejenigen Geschäfte, denen das Offenhalten an Sonntagen strengstens verboten ist, einen schwungvollen Handel treiben.“ Die Polizei bleibe untätig. „Hartnäckigen Übeltätern“ droht der Verein mit Anzeige.

• Eine Schwindlerin schädigt Anna Steltinger, Inhaberin einer Plätterei am Hohenzollernplatz (heute: Karl-Marx-Platz), schwer. Unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ergaunert sie zwölf Oberhemden und zwölf Kragen. Sie bleibt auf einem Schaden von 3000 Mark sitzen.

• Die Temperaturen sind gestürzt. Wurden am Freitag, 1. Oktober, 22 Grad gemessen, sind es am Sonntagmorgen nur noch drei Grad.

• Die 20-jährige Kontoristin Dorothea Kroeseler aus der Hertzbergstraße wird vermisst. Weil das Mädchen gemütskrank ist, vermutet man, dass „es planlos umherirrt oder Selbstmord verübt hat“.

Erschossen für Ziegendiebstahl

• In der Delbrückstraße wird der 25-jährige Metallschleifer Wilhelm Friedrich in einem Ziegenstall erschossen, als er sich gerade eines Tieres bemächtigen will. „Er verdiente in der Woche über 300 Mark, hätte es also nicht nötig gehabt, Laubenpieper zu bestehlen“, so der mitleidlose Kommentar.

• Ein junger Herr, Nichttänzer, 1,65 Meter groß, 25 Jahre alt, sucht liebes anständiges Mädchen. Blondinen bevorzugt.

• Herr Graf aus der Juliusstraße warnt jeden davor, „meiner Tochter Else etwas zu borgen“. Er komme für nichts auf.

• Ein Ball lädt drei Mal in der Woche Damen und Herren in den mittleren Jahren zum Tanz: „Einlass nur für Witwen, Witwer und die gereifte Jugend“.

• Auf dem Stellenmarkt gefragt: Klavierspieler, Büglerinnen, Stenotypistinnen, Melker, Portiers- und Aufwartefrauen, Schriftsetzerlehrlinge und Stanzerinnen.

• Die 31-jährige Ehefrau Mathilde Hensel vom Köllnischen Ufer (heute: Kiehlufer) wird beim Kartoffelstoppeln in der Nähe von Dahlwitz erschossen. Beim Knollensammeln haben sie und ihre Nachbarin ein „Renkontre“, also einen Zusammenstoß, mit einem Feldhüter. Er endet für Mathilde Hensel tragisch.

Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

29 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 180.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom baut Netz aus
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Ab Dezember starten die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Borsigwalde, Friedenau, Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade, Lübars, Mariendorf, Neu-Tempelhof, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Tegel, Waidmannslust, Wilhelmstadt und Wittenau. Damit können weitere rund 180.000 Haushalte und Unternehmen in Berlin einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2030 plant...

  • Borsigwalde
  • 11.12.24
  • 2.879× gelesen
BauenAnzeige
2024 war Richtfest für die Grundschule in der Elsenstraße. | Foto: SenBJF
7 Bilder

Berliner Schulbauoffensive 2016-2024
Erfolgsgeschichte für unsere Stadt

Die Berliner Schulbauoffensive ist nach wie vor eines der zentralen Projekte unserer Stadt. Mit aktuell mehr als 44.000 neu entstandenen Schulplätzen setzt die Offensive ihre Ziele erfolgreich um. So wurden von 2016 bis 2023 bereits 5 Milliarden Euro in moderne Bildung investiert. Auch in den kommenden Jahren wird das derzeit größte Investitionsvorhaben für Schulen fortgesetzt. Die Offensive geht weiter und führt zu einer dauerhaft verbesserten schulischen Umgebung für unsere Schülerinnen und...

  • Charlottenburg
  • 13.12.24
  • 2.226× gelesen
  • 1
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 84.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom vernetzt
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Berlin auf Hochtouren. Neue Arbeiten starten nun auch in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Friedrichshain, Karlshorst, Kreuzberg, Lichtenberg und Rummelsburg. Damit können nun rund 84.000 Haushalte und Unternehmen einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2023 plant die Telekom insgesamt...

  • Alt-Hohenschönhausen
  • 11.12.24
  • 2.823× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 3.744× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.