"Hin zu mehr Privatsphäre"
Am Neuköllner Kiehlufer entstehen Apartments für bis zu 240 obdachlose Menschen
Am südlichen Kiehlufer – künftig Hausnummer 147 – befindet sich eine Wohnungslosenunterkunft für bis zu 240 Menschen im Bau. Läuft alles nach Plan, kann sie im Juli nächsten Jahres den Betrieb aufnehmen.
Eigentlich war ein ordentliches Richtfest geplant, doch wegen steigender Corona-Zahlen musste es ausfallen. Immerhin durften dann doch noch einige auf Besichtigungstour gehen, unter ihnen auch Journalisten. Durch das Haus geleiteten Bauherr Stefan Taig, der Chef der Wertwin-Projektgesellschaft, und Roland Schirmer, Geschäftsführer der gemeinnützigen Gesellschaft Vita domus. Sie wird die Einrichtung betreiben.
Was ist geplant? Das L-förmige Gebäude hat drei Stockwerke zur Teupitzer Straße hin und fünf Stockwerke, die zum S-Bahndamm weisen. Es entstehen 79 Apartments à 35 Quadratmeter, inklusive Bad und Küchenzeile. Gedacht sind sie vor allem für Paare und Familien mit Kindern. Bei Bedarf können zwei der kleinen Wohnungen zusammengelegt werden. „Wir gehen weg von Gemeinschaftsunterkünften hin zu mehr Privatsphäre“, sagt Schirmer. Barrierefreiheit bieten alle Apartments, fünf von ihnen sind sogar rollstuhlgerecht. Einige Räume, die für alle da sind, gibt es aber, zum Beispiel ein Spielzimmer für Kinder und eines mit Waschmaschinen und Trocknern. Ebenso vorgesehen sind Büros und Besprechungsräume für die Betreuer. „Wir wollen die Menschen nicht nur unterbringen, sondern sie auch beraten und ihnen eine Perspektive bieten“, so Schirmer.
Draußen soll ein Spielplatz angelegt werden. Er wird auch den Mädchen und Jungen der Einrichtung nebenan zur Verfügung stehen. Sie ist für wohnungslose Frauen mit Kindern reserviert. Weitere Nachbarn sind alleinstehende wohnungslose Männer, die in einem Containerbau leben, und die gemeinnützige Gesellschaft Kubus. Die hat im denkmalgeschützten ehemaligen Obdachlosenasyl aus den späten 1920er-Jahren soziale Werkstätten eingerichtet. Außerdem betreibt sie eine Suppenküche und bietet Notübernachtungen während der Kälteperiode an.
Die Wertwin-Projektgesellschaft hat mit Vita domus einen 20-jährigen Pachtvertrag abgeschlossen, mit zehn Jahren Verlängerungsoption. Besteht kein Bedarf mehr, Wohnungslose unterzubringen, sei es problemlos möglich, die Apartments umzuwandeln. Zum Beispiel könnten Menschen mit Behinderung einziehen, erklärt Stefan Taig. „Wir haben jedenfalls nicht vor, sie in Eigentumswohnungen zu verwandeln oder so etwas“, versichert er.
Ursprünglich war es Vita domus, die 2010 das Grundstück vom Liegenschaftsfonds kaufte. Doch damals gab es keinen Bedarf für eine neue Wohnungslosenunterkunft, die vorhandenen Plätze reichten anscheinend aus. Das hat sich grundlegend geändert, wie Daniela Radlbeck vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin berichtet. Sie nennt alarmierende Zahlen: Rund 50.000 Menschen in Berlin leben nicht in ihren eigenen vier Wänden. Sie sind auf Einrichtungen wie Wohnheime oder Pensionen angewiesen. Dazu kommen etwa 18.000 geflüchtete Menschen, die in Unterkünften wohnen müssen.
Schließlich gibt es auch noch die „echten“ Obdachlosen, die auf der Straße leben. Anfang vergangenen Jahres wurden während der „Nacht der Solidarität" rund 2000 gezählt. Es gilt aber als sicher, dass die Zahl weit höher liegt. „Rund 250 Millionen Euro gibt das Land Berlin für die Unterbringung von Wohnungslosen im Jahr aus“, sagt Radlbeck. Ob sich die Situation in den nächsten Jahren zum Besseren wenden wird, steht jedoch in den Sternen. Der Senat hat das erklärte Ziel, die Obdachlosigkeit in der Hauptstadt bis zum Jahre 2030 zu beenden. Aber solange es keine freien und bezahlbaren Wohnungen auf dem Markt gibt, wird das Zukunftsmusik bleiben.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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