"Katastrophale Entwicklung"
Sozialpsychiatrischer Dienst in Neukölln unterbesetzt / Stadtrat streicht Angebot
Von sechs Arztstellen beim bezirklichen Sozialpsychiatrischen Dienst (SpD) sind nur noch zwei besetzt. Jetzt hat Gesundheitsstadtrat Falko Liecke (CDU) die Konsequenz gezogen: Neukölln bietet keinen Not- und Krisendienst mehr an.
Unter der Rufnummer ist nur noch ein Anrufbeantworter geschaltet, der Ratsuchende über diese Tatsache informiert. Außerdem hat Liecke erklärende Schreiben an das Amtsgericht sowie an Polizei und Feuerwehr geschickt. Bisher konnten diese den SpD um Unterstützung bitten, wenn sie bei Einsätzen auf seelisch kranke Menschen trafen.
Was passieren kann, wenn dort niemand erreichbar ist, zeigt ein Fall, der sich Mitte Juni ereignet hat: Ein 34-jähriger, geistig verwirrter Mann verletzte zwölf Polizisten. Er besprühte sie mit einem Feuerlöscher, als sie seine Wohnungstür öffneten.
Keine Hilfe mehr bei Polizeieinsätzen
„Wäre die diensthabende Ärztin am Platz gewesen, hätte sie mit einem Sozialarbeiter zum Ort des Geschehens fahren und mit dem Betroffenen in Kontakt treten können“, so Liecke. Tatsächlich war der Mann den SpD-Mitarbeitern persönlich bekannt, die Chance auf Deeskalation wäre recht gut gewesen.
Weil der Notdienst nicht mehr verlässlich zu organisieren ist, hat Neukölln als erster Berliner Bezirk die Reißleine gezogen. Polizei und Feuerwehr sind nun aufgefordert, psychische kranke Menschen gleich ins Krankenhaus zu bringen.
Auch andere Aufgaben kann der SpD kaum noch erfüllen: Beratung, Vermittlung von Hilfen, engmaschige Begleitung während Krisen und Vorbeugung. „Vorrang hat die Begutachtung von Patienten im Klinikum Neukölln“, so Liecke. Dort entscheiden die SpD-Ärzte, ob ein Mensch so gefährdet oder gefährlich ist, dass er zwangseingewiesen werden muss.
Schlechte Arbeitsbedingungen
Ursache für die unbesetzten Stellen sei die vergleichsweise schlechte Bezahlung, sagt der Stadtrat. Und wo Personal fehlt, müssen die anderen umso mehr arbeiten. Was wiederum zu Überlastung und Kündigungen führt.
Liecke: „Das jahrelange Sparen in Berlin hat den öffentlichen Gesundheitsdienst in die Handlungsunfähigkeit geführt.“ Der Senat sei nun in der Pflicht und müsse handeln. „Meine Kolleginnen und ich sind nicht länger bereit, die Verantwortung für diese katastrophale Entwicklung zu übernehmen.“
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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