Solides Handwerk trifft hippes Start-up
Am Neuköllner Schifffahrtskanal siedeln sich in den kommenden Jahren neue Nutzer an
Das Gewerbegebiet rund um das Estrel entwickelt sich rasant. In einigen Jahren werden dort bis zu 10.000 Menschen mehr als heute unterwegs sein. Deshalb hat die bezirkliche Wirtschaftsförderung ein Standortprofil bei der Planergemeinschaft für Stadt und Raum in Auftrag gegeben. Anfang Dezember tauschten sich ansässige und zukünftige Nutzer bei einer digitalen Veranstaltung aus.
Es gibt drei große Neubauprojekte: Das Estrel errichtet einen 175 Meter hohen Hotelturm, Berlins ersten Wolkenkratzer. Die vier Gebäude des „Shed“ auf der westlichen Kanalseite sind nächstes Jahr bezugsfertig. Und gegenüber auf dem ehemaligen Alba-Schrottplatz rücken demnächst die Bagger und Kräne an: Dort entsteht das DOXs-Ensemble. Das soll bis 2026 vom Unternehmen Trockland verwirklicht werden. Die Maße des Grundstücks sind ungewöhnlich. „Ein schmales Handtuch, 300 Meter lang und 24 Meter breit“ erklärte Projektleiterin Barbara Sellwig. Geplant sind drei sechsgeschossige Gebäude mit Flächen für Gewerbe, Büros, Gastronomie, Co-Working, Gewerbe und ein Hostel. Auch eine Kita ist vorgesehen. Die beiden historischen Kräne auf dem Gelände bleiben stehen, und es wird einen öffentlichen Platz geben. Gute Nachricht für Spaziergänger: Der Uferweg am Kanal, der an der Sonnenallee beginnt und heute noch vor dem DOXs-Gelände endet, wird weitergeführt.
In der Umgebung ist bereits seit vielen Jahren Gewerbe ansässig. „Direkt neben den neuen schicken Büros gibt es Betriebe mit Lkw-Verkehr, das ist eine Herausforderung“, sagte Dirk Spender von der Planergemeinschaft. Ein Beispiel ist die Wilhelm Reuss GmbH, die an das Estrel-Mutterhaus grenzt. Dort werden Nussnougatcremes und andere Schokoladenprodukte hergestellt. Im Norden am Kiehlufer hat unter anderem die Baufirma Dalhoff ihren Sitz, die dort 2022 auch ein Gebäude für die Dekra-Akademie errichtet hat. Und es gibt das 25.000 Quadratmeter große Gewerbedreieck auf der südlichen Seite der Sonnenallee, neben der Hotelturm-Baustelle.
Alte und künftige Anrainer stellten sich bei der Veranstaltung vor, um sich kennenzulernen, darüber zu sprechen, wie die Zukunft des Gebiets aussehen sollte und ob eine künftige Zusammenarbeit möglich ist. „So sexy wie die Neuen sind wir nicht“, schränkte Arnold Buhr von der Wilhelm Reuss GmbH ein. Und Ullrich Zimmermann von der BrauCo GmbH auf dem Gewerbedreieck sagte, er freue sich sehr über die vielen Informationen, „aber ich bin Rohrreiniger, was hat die ganze Entwicklung mit mir zu tun?“
Carina Lorenz von der privaten SHR-Universität, die nächstes Jahr mit 3500 Studenten ins „Shed“ zieht, sieht das anders. Die Hochschule sei praxisorientiert und biete ein breites Spektrum an Fächern – von Informationstechnologie bis Fotografie. „Für uns ist es wichtig zu wissen, wer unsere Nachbarn sind. Wir erhoffen uns Kooperationen auf allen Ebenen“, sagte sie. So habe die Hochschule bereits technische Geräte bei einem der Betriebe bestellt. Außerdem könne sie sich vorstellen, Firmenvertreter zu Vorträgen einzuladen.
„Irgendwann wird die Entwicklung mit Ihnen allen zu tun haben, weil allein die künftige Anzahl der Menschen etwas machen wird“, wandte sich Christian Mehner von der bezirklichen Wirtschaftsförderung an die Alteingesessenen. Dazu fiel Ullrich Zimmermann als Erstes „die schlimme Situation am S-Bahnhof Sonnenallee“ ein: schmutzig und eng. Tatsächlich kaum vorstellbar, dass sich dort jeden Tag Hunderte von Studenten drängen. Außerdem wünschen sich einige Unternehmen eine nördliche Erschließung des „Shed“-Geländes, also eine Autobrücke am Kiehlufer. Carina Lorenz würde sich auch über eine Fußgängerbrücke zwischen Uni und DOXs freuen – oder eine kleine Fähre. Bedauerlich findet sie, dass in dem Gebiet kein Wohnraum für Studenten geschaffen werden darf, zulässig ist nur Gewerbe.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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