Richtfest mit drei Monaten Verspätung
Brauerei-Chefin Michéle Hengst, das Netzwerk Südring und Aktionen während des Lockdowns
Am 9. Oktober hat die Berliner-Berg-Brauerei ihr Richtfest an der Treptower Straße 39 gefeiert – wegen der Corona-Auflage nur in kleinem Rahmen. Die Berliner Woche war dabei.
Nach dreieinhalb Monaten Bauzeit steht die 600 Quadratmeter große Halle, der Boden ist gegossen, Handwerker verlegen nun säure- und laugebeständige Fliesen, dann folgen die Fenster und der Innenausbau samt Sud-Anlage und Lagertanks. Spätestens im Frühjahr soll der Betrieb losgehen.
Um die 100 Hektoliter Gerstensaft pro Woche will Braumeister Torsten Vullriede dann hier produzieren: Pils, Pale Ale, Lager und Berliner Weisse. Kapazitäten gibt es sogar für bis zu 180 Hektoliter am Tag. Über eine Vollauslastung denken Michéle Hengst und ihre Kollegen aber erst nach, wenn alles so gut läuft, dass es sich lohnt, eine eigene Flaschenabfüllanlage auf dem Grundstück zu bauen. „Platz genug haben wir ja jetzt“, sagt Michéle Hengst, die gemeinsam mit zwei Kollegen die Geschäfte führt.
Hilfe von Bekannten
Im April mussten die Berliner-Berg-Leute ihren alten, wesentlich kleineren Standort an der Kopfstraße verlassen, der Mietvertrag lief aus. Den Großteil des Bieres brauten sie auswärts. Bei der Suche nach einem neuen, passenden Grundstück erwies es sich als Segen, dass sie Mitglieder des Unternehmensnetzwerk Südring sind. „Als wir 2015 in Neukölln anfingen, kannten wir niemanden im Kiez, das wollten wir ändern. Und die Entscheidung für das Netzwerk war die beste, das sind ganz herzliche Menschen“, so Hengst.
Der Kontakt zu anderen Selbstständigen zahlte sich schon am alten Standort aus. So lernten sie unter anderem die Metallbauerin Gabriele Sawitzki kennen, die ihnen die Schankanlage in ihrer kleinen Kneipe „Bergschloss“ an der Kopfstraße verschönerte. Noch viel wichtiger: Auch das Grundstück an der Treptower Straße fanden sie über das Netzwerk, der Eigentümer ist Rainer Fritze, der nebenan Industrieverpackungen herstellt.
Eigentlich sollte der Bau der Fertigteil-Halle bereits im März statt Ende Juni beginnen, doch die Corona-Krise funkte dazwischen. „Im Bauamt wurde nicht wie üblich gearbeitet, wir mussten auf die Genehmigungen warten. Klar, wir hätten schon mal ein Loch buddeln können, aber was, wenn sich herausgestellt hätte, dass ein seltener Vogel auf dem Gelände brütet?“, sagt Hengst. Also hieß es: abwarten.
Lockdown traf Abnehmer hart
In der Zwischenzeit kam es zum Lockdown. Kneipen, Bars, Restaurants und Cafés schlossen, darunter etliche Kunden der Berliner-Berg-Brauerei. „Mit vielen Betreibern hatten wir uns im Laufe der fünf Jahre angefreundet, nun mussten sie von einem Tag auf den anderen Angst um ihre Existenz haben“, so Hengst.
Das Geschäftsführer-Trio beschloss, etwas zu tun. „Wir lieferten selbst Bier an Online-Privatkunden aus, bis nach Grunewald und Hellersdorf, und spendeten die Einnahmen.“ Mehr als 10 000 Euro gingen so an Gastwirte, rund 7000 Euro an die Berliner Clubkommission. Das sei aber keine reine „Gutmensch-Aktion“ gewesen, sagt Michéle Hengst. „Wir hatten ja nichts anderes zu tun, haben unsere Leute beschäftigt und mussten sie nicht in Kurzarbeit schicken.“
Ende des zweiten Quartals ging es dann mit dem Gastrobetrieb langsam wieder los, das dritte Quartal sei „fantastisch“ für die Branche gewesen und habe alle Erwartungen übertroffen, so Hengst. Nun aber werde es wieder eng, auch weil die Menschen verständlicherweise draußen sitzen und sich sicher fühlen möchten.
Trotz allem optimistisch
Ihre Hoffnung ist, dass die Politik gelernt hat und die Regeln transparenter macht. „Am Anfang war es schlimm, fast täglich neue Nachrichten. Erst durften die Cafés zu bestimmten Zeiten geöffnet bleiben, dann nicht mehr. Es herrschte viel Unsicherheit: Wie läuft es genau mit Abstandsregeln, mit Trennscheiben, Masken, Kontaktformularen? Ab wann genau gelten welche Beschränkungen?“
Trotz allem ist Michéle Hengst optimistisch: „Ich bin total überzeugt, dass wir das durchstehen und alles wieder gut wird.“ Ihr Unternehmen konzentriere sich jetzt darauf, mit seinen Bieren noch stärker in Supermärkten vertreten zu sein. „Wir wollen die Berliner Innenstadtbrauerei werden.“
In die Karten spielt ihnen dabei, dass Herbst und Winter sowieso nicht die umsatzstärksten und arbeitsreichsten Zeiten für Bierhersteller sind. „Im Juni wird dreimal so viel Bier getrunken wie im Winter“, erklärt Braumeister Torsten Vullriede. Der schwächste Monat sei der Februar, zumindest in den karnevalgemäßigten Zonen. Er rechnet damit, im März wieder Vollgas zu geben. Denn sein Gerstensaft braucht sechs bis acht Wochen, bis er fertig ist – im Gegensatz zum „Industriebier“, das oft nur wenige Tage im Tank lagert.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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