"Lettekiez liest" auch 2018 mit spannendem Programm
Lettekiez las zum neunten Mal: das Beste zum Schluss
Ein Kiez liest. Oder besser: bekommt vorgelesen. Von August bis Oktober 2018 erlebte der Lettekiez zum neunten Mal einen abwechslungsreichen Leseherbst. Die letzte Lesung am 25.10.2018 brachte zwei recht gegensätzliche Meisterwerke der deutschen Literatur der Zwischenkriegszeit in der Buchhandlung am Schäfersee zusammen. Hans Falladas (1893-1947) Schullektüreklassiker “Kleiner Mann, was nun?” (1932) aus der Spätphase der Weimarer Republik traf auf Franz Hessels (1880-1941) Bohème-Roman “Heimliches Berlin” (1927).
Der erfahrene Lettekiez-Vorleser Ulrich Schütter verlieh mit seiner sonoren Stimme den beiden Zeitstudien der 20er-Jahre einen frischen Glanz, der die völlig unterschiedlichen, ja sogar konträren Blickwinkel auf diese schillernde Zeit sympathisch ausleuchtete.
Facettenreiche Textauswahl
Während Fallada mit seinem der Neuen Sachlichkeit verpflichteten Text das Schicksal der kleinen Leute plastisch nachzeichnet, heftet sich Hessel an die Fersen der Berliner Bohème der 20er-Jahre. Bei Falladas werdenden Eltern Johannes Pinneberg und “Lämmchen” steht der oft verzweifelte Versuch im Mittelpunkt, im kargen Berliner Alltag über die Runden zu kommen und um das kleine Glück zu kämpfen. Hessels Protagonisten taumeln im Rausch der pulsierenden Großstadt und schwanken zwischen rühmlichem Verarmen und der Anbetung eines fernen Luxus’ immer auf den Wellen phantastischer Träume dahin.
Großartig war auf jeden Fall die Auswahl der beiden Texte, die Ulrich Schütter wie Gift (Fallada) und Gegengift (Hessel) anordnete. Dieser Abend war auch deswegen sehr wertvoll, weil er die aktuelle “Babylon Berlin”-trunkene und deswegen auch sehr ferne Verehrung der 20-er Jahre um vielfache, entscheidende Facetten ergänzte. Pinneberg, Lämmchen, Wendelin, Margot, Karola … sie alle sind Kinder dieser Zeit und haben doch so völlig unterschiedliche Wünsche, Träume, gesellschaftliche Standpunkte und Lebenskonzepte. Die verschiedenen Perspektiven verdeutlichen einem erst so richtig das bunte Kaleidoskop-Bild dieser bald schon sagenhafte einhundert Jahre entfernten Zeit.
"Schwarz aus des Fensters gespenstischen Gittern ..."
Das Gedicht, mit dem Ulrich Schütter den Abend einleitete, “Torbogen” von einem weiteren Zeitgenossen und Bohemien, Erich Mühsam (1878-1934), blinkte als rhetorischer Glanzstern über dem restlos gelungenen Abend. Große Vorfreude und Spannung auf 2019!
Autor:Dino DeMonti aus Reinickendorf |
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