Autor las aus seinem Wohnzimmer
Treue der Kunden rührt Buchhändlerin
Die Corona-Krise trifft viele kleine und mittelständische Unternehmen. Viele versuchen ihr mit Kreativität zu trotzen – wie Buchhändlerin Tanja Bethke.
Eine Lesung in einer Neuköllner Wohnung, organisiert in Reinickendorf. Not macht erfinderisch, und danach handelte Tanja Bethke. Die Betreiberin der Buchhandlung am Schäfersee organisiert regelmäßig Lesungen in ihrem Geschäft. Am 20. März sollte Christian Dittloff in die Markstraße 6 kommen, um aus seinem Roman „Das weiße Schloss“ zum Thema Elternschaft zu lesen.
Lesung per Livestream
war schon länger geplant
Tanja Bethke und Moderatorin Silke Klessmann, vielen im Kiez noch als Mitarbeiterin des Quartiersmanagement Letteplatz bekannt, entschieden sich, damit ins Netz zu gehen. „Wir hatten zwar in den vergangenen Jahren schon mehrfach über die Möglichkeit von Livestream-Übertragungen der bei uns stattfindenden Lesungen nachgedacht, aber immer mit der Technik und dem Aufwand gehadert“, sagt Tanja Bethke.
74 Zuhörer im virtuellen Raum
Man fand jetzt schnell eine Möglichkeit, Lesung und Diskussion online zu führen. Dittloff las am heimischen Schreibtisch in Neukölln, wer immer wollte, konnte ihm weltweit zuhören und zusehen und dabei auch Fragen stellen. 74 Zuhörer waren im virtuellen Raum anwesend. Anmelden musste sich niemand. Die Interessenten klickten auf einen Link und waren dabei.
Viele hörten zum ersten Mal einer Lesung zu
Tanja Bethkes Fazit: „Wir hatten tatsächlich gleich nach der Veranstaltung ungewöhnlich viele Rückmeldungen der Zuschauer – alle ausgesprochen positiv. Sowohl das Thema des Romans und die dazugehörige Diskussion hat die Leute interessiert, als auch diese Form der Veranstaltung, die generell als gute Möglichkeit der Abendgestaltung wahrgenommen wurde. Auch im ganz normalen Alltag hat man oft nicht die Zeit auszugehen.“ Viele der Zuschauer haben zum ersten Mal an einer Online-Lesung teilgenommen. „Vielleicht haben wir für viele Menschen so den ersten Schritt ermöglicht, in dieser schweren Zeit kulturelle Bereicherung und Kontakt im Internet zu finden“, hofft Bethke.
Wird nach Corona weiter online gelesen?
Die nächsten Lesungen plant die Buchhändlerin erst wieder für den Herbst, dann hoffentlich wieder im Geschäft. Allerdings plant Tanja Bethke, diese dann auch im Internet zu streamen – das Einverständnis der Autoren vorausgesetzt.
Bücher werden auf dem Gehweg übergeben
Neben der Möglichkeit, in der Buchhandlung online zu bestellen, geht das analoge Geschäft weiter. Buchhandlungen dürfen weiter geöffnet bleiben (Stand 25. März), sind aber auch zu Vorsichtsmaßnahmen angehalten. Für Tanja Bethke und ihre beiden Mitarbeiter heißt das: „Natürlich treffen wir Vorkehrungen, um die sozialen Kontakte auch in diesem Rahmen so gering wie möglich zu halten. Dazu gehört eine Klingel vor der Ladentür, sodass wir bestellte Bücher auf dem Gehweg übergeben können, eine Zugangangsbeschränkung auf wenige Kunden zeitgleich im Laden, ein kostenloser Lieferservice per Fahrrad für die nähere Umgebung und unser gewohnter Lieferweg per Post oder DPD.“
Am Montag bis 13 Uhr keinen Euro verdient
In den ersten Tagen der Einschränkung der Sozialkontakte gab es sogar eine geringfügig erhöhte Nachfrage nach Büchern. Die ging aber mit den Verschärfungen vom 23. März zurück: „An dem Montag hatten wir bis 13 Uhr keinen müden Euro in der Kasse, das haben wir noch nie erlebt“, sagt Tanja Bethke. Sie hat auch eine Befürchtung: „Vielen ist klar, dass, wenn nun alle Bücher bei den großen Onlinehändlern bestellt werden, es möglicherweise nach der Corona-Krise keine Buchhandlungen vor Ort mehr geben wird, in denen man stöbern und plaudern kann oder Lesungen besucht. Die Unterstützung unserer Kunden ist eine große Wohltat und mitunter richtig rührend. Ob es am Ende reicht, werden wir sehen. Das hängt von der Dauer der Beschränkungen des öffentlichen Lebens ab.“
Informationen zur Buchhandlung am Schäfersee gibt es unter www.schaefersee.com.
Autor:Christian Schindler aus Reinickendorf |
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