Bäume sterben aufrecht
Vor 60 Jahren starb Ernest Hemingway
Berlins Nachtleben fand er "schäbig, hoffnungslos und lasterhaft". Für ihn
war die Stadt "vulgär, hässlich und schlecht gelaunt". Paris war der Tummelplatz
von Ernest Hemingway, Dort traf er als Zeitungskorrespondent nach dem Ersten Weltkrieg die
Geistesgrößen seiner Zeit - von Gertrude Stein ("Eine Rose ist eine Rose, ist
eine Rose") bis F. Scott Fitzgerald. Und er fand alles, was ihm den Stoff
lieferte für seine Beschreibung der "Lost Generation", der "Verlorenen
Generation", wie Gertrude Stein die jungen Kriegsheimkehrer nannte, die
sich in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts damit konfrontiert
sahen, dass "alle Götter tot, alle Kriege gekämpft und jeder Glaube in die
Menschheit zerstört" war. Vor 60 Jahren - am 2. Juli 1961 - starb Hemingway
nach einem turbulenten und schillernden Leben auf mehreren Kontinenten
in Ketchum/Idaho.
Mit den Erkenntnissen der "Lost Generation" schrieb Ernest Hemingway -
ein Kerl wie ein Baum, Kriegsfreiwilliger und Sanitäter an der italienischen Front
im Ersten Weltkrieg, Großwildjäger, Weltenbummler, Hochseefischer, Frauenheld,
Stierkämpfer und schließlich Literatur-Nobelpreisträger - ab 1924 in Paris "Fiesta",
seinen ersten längeren Roman, der ihm sogleich Weltruhm eintrug und den er im
Winter 1925/26 im österreichischen Montafon vollendete. Das Montafon wärmt sich
bis heute am Glanz von Hemingway. Im Gasthof "Löwen", wo Hemingway logierte
und dinierte, erinnert ein Ecktisch, den eine Christus-Figur und vier Hemingway-Fotos
schmücken, an die Aufenthalte des umtriebigen Schriftstellers.
Die Arbeit an "Fiesta" war die Zeit, in der der verheiratete Hemingway im
Montafon die Moderedakteurin Pauline Pfeiffer kennenlernte, die er 1927 in
zweiter Ehe heiratete. Mit ihr kam er 1931 auch nach Berlin zur Premiere der
von Carl Zuckmayer am Deutschen Theater geschaffenen Bühnenadaption
seines Kriegsromans "In einem anderen Land" - in Berlin mit dem sparsamen Titel "Kat".
Wiederum eine Reverenz an die "Lost Generation". Es war der dritte Besuch von
Hemingway im angeblich schlecht gelaunten Berlin. Zeitzeugen wie der
Schauspieler Gustav Fröhlich schilderten Hemingway bei dieser Berlin-Visite
im Deutschen Theater als total betrunken (immer mit einer Whisky-Flasche im
Jackett) und ungeachtet der Anwesenheit von Ehefrau Pauline völlig auf die
Hauptdarstellerin Käthe Dorsch fixiert, die er trotz intensiver und lautstarker
Bemühungen nicht zu einem Techtelmechtel überreden konnte.
Obwohl die größten literarischen Erfolge Hemingways (1953 der Pulitzer-
Preis für "Der alte Mann und das Meer", 1954 der Literatur-Nobelpreis) noch
bevorstanden, deutete sich bei seinem Berlin-Besuch von 1931 bereits an, was
seine späteren Jahre bestimmen sollte: Alkoholmissbrauch und Depressionen.
Aber auch sein fanatischer Sinn fürs Spektakel: Er liebte das Berliner Sechstage -
Rennen im Sportpalast und berauschte sich am Knattern bei Maschinen beim
Steherrennen. Das war für ihn Stierkampf-Atmosphäre. Tierschutz interessierte ihn nicht.
Eine enge Beziehung zu einer Berlinerin, die in einer jahrelangen
Brieffreundschaft gipfelte, konnte seine seelischen Tiefpunkte nur gelegentlich
überbrücken. 1934 hatten sich Hemingway und Marlene Dietrich während einer
Atlantik-Überfahrt von Le Havre nach New York kennengelernt. Ihre Seelengleichheit
schuf einen 25-jährigen Briefaustausch, um den sich viele Legenden rankten, denn
einen körperlichen Kontakt gab es nicht. Beide waren des anderen
Kummerkasten. Ein weiterer Berlin-Besuch nach dem Zweiten Weltkrieg -
wie etwa bei seinen US-Kollegen Thornton Wilder und Edward Albee - war nicht möglich.
Zu schwerwiegend waren Hemingways Erkrankungen und Depressionen in den fünfziger Jahren.
"Bäume sterben aufrecht" - am 2. Juli 1961 entschloss sich Hemingway im heimatlichen
Idaho, über sein Lebensende selbst "Herr der Verfahrens" zu sein. Dafür hatte er sich
eine Flinte bereit gelegt, mit der er - wie sein Vater - den Freitod wählte.
Autor:Nicole Borkenhagen aus Reinickendorf |
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