Vermächtnis einer Holocaust-Überlebenden
Margot Friedländer (101) zu Gast im Bertha-von-Suttner-Gymnasium

Margot Friedländer im Gespräch mit Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums. | Foto:  Thomas Frey
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  • Margot Friedländer im Gespräch mit Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums.
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Es ist heiß und Freitagnachmittag am Ende einer langen Schulwoche. Dennoch ist die Aula des Europäischen Gymnasiums Bertha-von-Suttner mit rund 200 Schülerinnen und Schülern vollbesetzt. Der Grund: Margot Friedländer ist an diesem Nachmittag zu Gast.

Margot Friedländer ist eine der letzten Holocaust-Überlebenden und inzwischen 101 Jahre alt. Sie ist auch dadurch bekannt geworden, dass sie erst knapp 60 Jahre nach ihrer Befreiung und dem Ende des zweiten Weltkriegs zum ersten Mal wieder ihre Geburtsstadt Berlin besuchte. 2010 entschloss sich die damals 88-Jährige zur Rückkehr aus New York, wohin sie mit ihrem Mann 1945 ausgewandert war. Schon zuvor und erst recht seither absolvierte Margot Friedländer ungezählte Termine als Zeitzeugin, vor allem in Schulen. Sie erinnerte dabei an den millionenfachen Mord in der Nazizeit am Beispiel ihrer eigenen Familiengeschichte. Den nachwachsenden Generationen vermittelte sie die Bitte, diese Schreckenszeit nicht zu vergessen und gegen Gefahren auch in der Gegenwart sensibel und aufmerksam zu bleiben. Sie wiederholt dieses Anliegen auch im Bertha-von-Suttner-Gymnasium mehrfach.

Margot Friedländer mit Schulleiterin Anke Junge-Ehmke, Monika Grütter und den Schülerinnen Annemie van Dyk und Helen McFadzeaf-Ferguson. | Foto: Thomas Frey
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Mittlerweile sind solche Auftritte wie in der Schule an der Reginhardstraße für die 101-Jährige eher die Ausnahme. Dass ihre Anwesenheit hier ein besonderer Moment ist, darüber scheinen sich die Schüler in der Aula bewusst und daher wohl auch ihre konzentrierte Stimmung.

Dass es zu diesem Besuch kam, ist Monika Grütters zu verdanken. Die ehemalige Kulturstaatsministerin und seit 2021 CDU-Bundestagsabgeordnete für Reinickendorf ist mit Margot Friedländer befreundet und pflegt engen Kontakt zum Bertha-von-Suttner-Gymnasium.

Altersbedingt ist der Ablauf an diesem Nachmittag gegenüber früheren Veranstaltungen etwas verändert worden. Margot Friedländer trägt nicht mehr vor Ort aus ihrem 2008 erschienenen Erinnerungsbuch „Versuche dein Leben zu machen“ vor. Stattdessen wird ein Film gezeigt, der sie bei einer Lesung vor einigen Jahren zeigt. Dass sie den Text noch immer aus dem Kopf rekapitulieren kann, zeigt sich beim Beobachten der Frau, während der Film läuft. Viele Passagen spricht sie leise mit.

"Stellt mir Fragen". Margot Friedländer bei einer Antwort. | Foto: Thomas Frey
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In dem Buch beschreibt Margot Friedländer, wie sie von Januar 1943 bis April 1944 als Jüdin versteckt in Berlin lebte. Wie sie nach 15 Monaten im Untergrund enttarnt, verhaftet und in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wurde. Auch Theresienstadt sei ein schrecklicher Ort gewesen, mit Hunger, Grausamkeit und Tod, aber kein Vernichtungslager wie Auschwitz. Dort wurden ihre Eltern und ihr Bruder ermordet.

Der Buchtitel steht für die letzte Nachricht von Margot Friedländers Mutter. Die Aufforderung wurde der Tochter mündlich von einer Bekannten zusammen mit der Handtasche der Mutter übermittelt. Darin befand sich unter anderem ein Adressbuch. Sie zeigt es den Schülern ebenso wie ihren Judenstern. Trotz dieser Signale habe sie die Aufforderung zunächst nicht eindeutig entziffert, rekapituliert Margot Friedländer im Buch. Hieß das, den gleichen Weg zu gehen, der ihrer Mutter jetzt bevorstand? Oder das Gegenteil? Zu überleben versuchen. Sie entschied sich für Letzteres, ungewiss, ob es erreichbar war. Ein Überleben, das den Tod von Millionen anderen aber nicht abschütteln konnte. Sie gehörte zu den „Übriggebliebenen“, sagt Margot Friedländer. Es gab „einen inneren Kampf mit dem Schuldgefühl als Überlebende.“

Der Besuch von Margot Friedländer im Bertha-von-Suttner-Gymnasium war über die Bundestagsabgeordnete Monika Grütters zustande gekommen. | Foto: Thomas Frey
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Noch in Theresienstadt hat sie kurz nach der Befreiung ihren Mann geheiratet. Beide waren in ihrer Jugendzeit beim Jüdischen Kulturbund in Berlin und begegneten sich im Konzentrationslager wieder. Wenig später folgte die Auswanderung in die USA. Sie war mit der Absicht verbunden, nie mehr nach Deutschland zurückzukehren.

Solange ihr Mann lebte, wäre das auch nicht möglich gewesen, sagt Margot Friedländer. Erst nach seinem Tod und einer Einladung, am Besuchsprogramm für einstige jüdische Mitbürger in der Stadt teilzunehmen, hat sie sich zur ersten Reise entschlossen. Die schrecklichen Erlebnisse ihrer Vergangenheit wären in New York kaum einmal Thema gewesen, antwortet sie auf eine entsprechende Frage der Schüler. Nicht einmal im jüdischen Freundes- und Bekanntenkreis.

Im Anschluss an den Film wurden weitere Fragen gestellt. Dabei zeigte sich, dass sich die Schülerinnen und Schüler intensiv mit der Biographie ihres Gastes auseinandergesetzt hatten. Etwa als es darum ging, wie viele Menschen ihr im Untergrund geholfen haben und welche Erfahrungen sie mit ihnen gemacht habe. Es seinen „16 Deutsche“ gewesen, rekapitulierte Margot Friedländer. Und zu ihrem Verhalten kam der Satz: „Nimm an Menschen das Gute heraus und vergiss das andere“.

Ihr müsst die Zeitzeugen für die Zeitzeugen sein. | Foto: Thomas Frey
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Auf den Besuch hatte sich vor allem der Leistungskurs Politik von Lehrerin Michaela Rauther und die AG Gedenken von Lehrer Lars Ihsen vorbereitet. Margot Friedländer und ihre Lebensgeschichte wäre ihnen zwar bereits bekannt gewesen, erzählten Annemie van Dyk und Helen McFadzeaf-Ferguson (beide 17) und Schülerinnen des Leistungskurses. Aber es wäre doch noch einmal etwas anderes, Margot Friedländer direkt zu erleben. Und sie hätte ihnen ja auch eine Botschaft mitgegeben.

„Ich möchte euch bitten, die Zeitzeugen zu sein, die wir nicht mehr lange sein können“, hatte Margot Friedländer die Schülerinnen und Schülern aufgefordert, deren Biografien und Schicksale weiterzutragen. „Es ist an euch, dass so etwas nie wieder passieren darf. Es ist für eure Zukunft, ihr habt es in der Hand. Seid Menschen.“ Es ist das Vermächtnis von Margot Friedländer.

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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