Neubeginn und viel Bekanntes
Das war 2023 in Reinickendorf
2023 war ein ereignisreiches, turbulentes, auch trauriges Jahr. Zwölf Monate, in denen einiges in Bewegung geriet, manches wiederkehrte und der Bezirk wie immer Einflüssen von außen ausgesetzt war.
Bezirkspolitik: Bei der Wahlwiederholung am 12. Februar wurde die CDU mit 40,5 Prozent klar stärkste Partei. SPD, B’90/Grüne und FDP, die bis dahin das Bündnis „Reinickendorfer Ampel“ gebildet hatten, verloren ihre knappe Mehrheit in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Die Liberalen sind seit der Wiederholungswahl nur noch als Gruppe in der BVV vertreten. Gleiches gilt für die Linke. Sie stellte nach der Wahl nur noch zwei Verordnete. Diese Mini-Gruppe löste sich einige Wochen später auf, weil eine Verordnete sie verließ und seither ihr Mandat als Einzelverordnete wahrnimmt.
Das Wahlergebnis mündete am 19. April in der Wahl von Emine Demirbüken-Wegner (CDU) zur neuen Bürgermeisterin. An der Zusammensetzung des sechsköpfigen Bezirksamtes und den Personen hat sich trotz der veränderten Kräfteverhältnisse nichts geändert. Ihm gehören weiter drei Mitglieder der CDU, zwei aus den Reihen der SPD und eine Stadträtin von B’90/Die Grünen an. Allerdings wurden die Zuständigkeiten verändert und weil die Stimme der Bürgermeisterin bei möglichen Pattsituationen den Ausschlag gibt, dominiert auch im Bezirksamt jetzt die Union.
Verkehr. Neben den politischen Veränderungen war Mobilität das beherrschende Thema im Jahr 2023. In einem Fall, dem Radweg an der Ollenhauerstraße fand es sogar bundesweite Beachtung. Im Juni war die Eröffnung des nahezu fertiggestellten Radwegs erst einmal gestoppt worden. Hintergrund war der vorläufige Stopp mehrerer Radwegvorhaben durch die neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU). Verschiedene Projekte sollten noch einmal auf den Prüfstand. Die Deutsche Umwelthilfe reichte eine Klage ein. Im September wurden die Radspuren schließlich eröffnet. Parallel dazu wurde jeweils eine Fahrspur pro Richtung zum temporären Parkplatz. In der Nacht sowie an den Wochenenden können dort Autos abgestellt werden.
Andere Verkehrsaufreger waren der zunächst noch vom alten Bezirksamt angeordnete Wegfall des Gehwegparkens in der Veitstraße und auf einem Abschnitt des Waidmannsluster Damms. Die neue Verkehrsstadträtin Julia Schrod-Thiel (CDU) machte diese Vorgabe auf der Veithstraße rückgängig. Am Waidmannsluster Damm ist die sogenannte „Abordnung des Gehwegparkens“ im September eingeführt, später in einem Bereich wieder ausgesetzt worden.
Auch das geplante Verkehrskonzept in und um die Heinsestraße sorgte und sorgt weiter für Diskussionen. Vorgeschlagen ist, die Heinsestraße zu einer „verkehrsberuhigten Geschäftsstraße“ zu machen. Autos dürfen dort zwar weiter fahren, aber nur mit einer maximalen Geschwindigkeit von 20 Kilometern. Rund um die Heinsestraße sollen Fahrradstraßen eingerichtet werden. Ob diese und weitere Vorgaben umgesetzt werden, ist mehr als fraglich. Erstens gibt es weiter Kritik, zweitens ist die Finanzierung offen.
Eine Fahrradstraße wird es in der Schildower Straße auch nach dem Umbau nicht geben. Diese Idee scheiterte nicht zuletzt an der BVG, die auch künftig mindestens eine, möglicherweise sogar zwei Buslinie durch die Straße führen möchte. Die drei Bürgerinitiativen im Waldseeviertel, die in vielen Fragen unterschiedliche Ansichten vertreten, sind sich zumindest in einem Punkt einig. Es soll künftig keinen Lkw-Verkehr in der Schildower Straße geben.
Eine Verkehrseinschränkung wurde am 31. August beseitigt. Seit diesem Tag passieren Fahrzeuge über die neue Tegeler Brücke den Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal. Zuvor gab es zwischen Tegel und Spandau zwei Jahre ein Behelfsbauwerk.
Bauen. Im ehemaligen Quartier der französischen Schutzmacht, in der Cité Foch, wurde im Juni das Richtfest für rund 140 neue Wohnungen gefeiert. Im November folgte der Grundstein für weitere 88 Appartements. Insgesamt sollen es rund 600 werden. Bauherr ist die bundeseigene Immobilienverwaltung BImA, Beschäftigte des Bundes sollen bevorzugt in das Neubauquartier einziehen. Konflikte gibt es beim Thema Verkehr. Anwohner aus den benachbarten Kiezen lehnen das Mobilitätskonzept ab, das unter anderem den Wegfall von zahlreichen Parkplätzen vorsieht. Außerdem wird ein verstärkter Durchgangsverkehr in der Umgebung der Cité Foch befürchtet. Laut der jüngsten Variante soll inzwischen zumindest nachts das Parken erlaubt sein.
Das geplante Bauvorhaben auf dem Areal der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik (KaBoN) hat mit etwa 600 Wohnungen eine ähnliche Dimension. Dort formierte sich ebenfalls Widerstand. Die Bürgerinitiative zur Erhaltung des Wittenauer Stadtwaldes beklagt das Fällen von bis zu 244 Bäumen und das Versiegeln weiterer Flächen. Zudem seien Bürgerbeteiligungsrechte bei diesem Projekt bisher versagt worden. Die Initiative hatte die nötigen 1000 Unterschriften für einen Einwohnerantrag zusammenbekommen, deshalb muss sich die BVV jetzt mit ihrem Anliegen beschäftigen. In der Sitzung am 13. Dezember wurde das Engagement zwar gelobt. Der Tenor war aber gleichzeitig: Die Wohnungen auf dem KaBoN-Gelände werden dringend benötigt.
Es gibt aber auch Bauprojekte ohne Nebengeräusche. Am 1. September wurde das Richtfest beim sogenannten Face-Campus in der Rollbergesiedlung gefeiert. Hier entstehen eine Kita und ein Familienzentrum, Bauherr dieses Projekts ist der Evangelische Kirchenkreis Reinickendorf. Überdies realisiert die Wohnungsbaugesellschaft Gesobau den Bau von 126 Wohnungen. Ein anderes Vorhaben der Gesobau ist Mitte Dezember fertig geworden. Am Wilhelmsruher Damm 142 wurde aus dem ehemaligen Verwaltungsgebäude der Wohnungsbaugesellschaft ein Appartementhochhaus. 66 Mietobjekte sind dort entstanden, weitere sechs gab es schon zuvor. Das Angebot ist speziell für Seniorinnen und Senioren gedacht.
Umwelt. Müll- und Dreckecken waren auch 2023 ein Aufreger im Bezirk. Nur ein gravierendes Beispiel dafür fand sich an der Holzhauser- und Räuschstraße. Zuletzt hatte Stadtentwicklungsstadträtin Korinna Stephan (B’90/Grüne) Verbesserungen in Aussicht gestellt. Der Eigentümer wolle durch bauliche Veränderungen dazu beitragen. Probleme gibt es auch am Flughafensee. Einige Bereiche der Uferböschung sind nicht standsicher und mussten gesperrt werden. Der Bezirk hat klargemacht, dass ihm für eine Sanierung die Mittel fehlen. Er verweist auf den Bund als Eigentümer des Flughafensees.
Im Bezirk gibt es inzwischen drei sogenannte PikoParks, kleine Biotope in Innenhöfen von Wohnanlagen. Zwei wurden auf dem Gebiet der Wohnungsgenossenschaft Märkische Scholle errichtet. Bereits 2022 an der Raschdorffstraße, außerdem Ende August 2023 am Büdnerring. Dieser PikoPark ist mit dem Status „Gold“ der Kampagne „Tausende Gärten – Tausende Arten“ ausgezeichnet worden. Ebenso wie der bereits seit 2021 existierende Naturgarten im Schollenhof der Freien Scholle. Der bekam im abgelaufenen Jahr zudem das Siegel „European Award for Ecological Gardening 2023“ verliehen.
Reinickendorf und die Welt. Das Ankunftszentrum für Geflüchtete auf dem ehemaligen Flughafen ist im abgelaufenen Jahr zu einem häufigen Verweilzentrum angewachsen. Der Grund dafür ist die hohe Zahl an Flüchtlingen, die 2023 nach Deutschland und Berlin gekommen sind.
Die Bezirkspolitik reagierte geschockt und mit Anteilnahme auf den Angriff auf Israel am 7. Oktober. Vor dem Rathaus wird die israelische Flagge aufgezogen, einige Tage später gibt es dort einen Brandanschlag. „Ich bitte euch, die Zeitzeugen zu sein, die wir nicht mehr lange sein können“, lautete eine Aufforderung von Margot Friedländer.
Die inzwischen 102-jährige Holocaust-Überlebende war im Juni Gast im Europäischen Gymnasium Bertha von Suttner. Sie hat in den vergangenen Jahren viele solcher Auftritte absolviert, inzwischen wird jeder zu einer Art Vermächtnis. Auch an diesem Tag fordert sie die Schülerinnen und Schüler auf, die Biografien und Schicksale der Opfer des nationalsozialistischen Massenmordes weiterzutragen. „Seid Menschen“. Ein Appell über den Tag hinaus.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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