Annabell Paris ist in einer Vorreiterrolle:
Reinickendorf beschäftigt in seiner Verwaltung die bundesweit erste Einsamkeitsbeauftragte
Einsam war es bei diesem Termin nicht. Selten kamen so viele Medienvertreter ins Rathaus Reinickendorf, wie am 16. Februar. Die Vorstellung der neuen Einsamkeitsbeauftragten Annabell Paris stieß auf großes Interesse. Schon deshalb, weil mit ihr zum ersten Mal ein solches Amt in einer deutschen Kommunalverwaltung besetzt wird.
Das Thema Einsamkeit ist ein besonderes Anliegen von Bürgermeisterin Emine Demirbüken-Wegner (CDU). Sie hält es für eines der größten gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit. Es genüge nicht mehr, dagegen nur mit Projekten anzugehen, fand die Bürgermeisterin. Vielmehr müsse der Kampf gegen die Einsamkeit institutionalisiert werden.
Wie soll das genau funktionieren? Wer ist die Frau, die dafür jetzt verantwortlich ist? Und wie sieht sie ihre Arbeit?
Zur Person. Annabell Paris (ihr Nachname spricht sich wie die französische Hauptstadt aus) ist 39 Jahre alt, wurde in Wedding geboren, lebt aber seit 1986 in Reinickendorf. Sie hat Kommunikationswissenschaften studiert und zuletzt als Bildungsbegleiterin gearbeitet. Dort habe sie beispielsweise ein Projekt zu den Lebensumständen von Berliner Schülerinnen und Schülern betreut, erklärte Annabell Paris.
Als sie die Ausschreibung gelesen habe, wäre ihr das als der „Beginn von etwas Großartigem“ vorgekommen. Es sei eine große Aufgabe, eine neue Herausforderung, auch „avantgardistisch“.
Die Aufgaben. Die Einsamkeitsbeauftragte soll zunächst entsprechende Strukturen schaffen, erläuterte Emine Demirbüken-Wegner. Welche Möglichkeiten, etwa Treffpunkte gebe es bisher im Bezirk? Wie bekannt oder zielführend sind sie? Wo existieren Defizite? Als erster Schritt werde gerade ermittelt, wo Menschen über 85 Jahren in Reinickendorf leben und ob die vorhandenen Angebote zu ihren Bedürfnissen und Bedarfen passen.
Annabell Paris soll auch bereits vorhandene Konzepte gegen Einsamkeit bündeln und weiterentwickeln. Etwa durch eine Arbeitsgemeinschaft, bei der verschiedene Fachbereiche des Bezirksamtes, zum Beispiel die Ämter für Bildung oder Gesundheit mitarbeiten. Auch die zuständigen Senatsverwaltungen, Wohlfahrtsverbände oder weitere Einrichtungen sollen gegebenenfalls einbezogen werden. Ein erster Runder Tisch dazu ist für den 28. Februar geplant. Auch einen weiteren Einsamkeitsgipfel, geplant im Dezember, soll Annabell Paris vorbereiten.
Und es geht nicht zuletzt um Öffentlichkeitsarbeit, das Thema medial präsent halten. Auch auf diese Weise wird ein Zugang zu einsamen Menschen erhofft.
Annabell Paris hat deshalb vor allem eine koordinierende Aufgabe, die nicht in erster Linie den direkten Kontakt mit den Einsamen beinhaltet. Auch wenn der natürlich nicht ausgeschlossen sein soll.
Einsame finden. Einsamkeit betreffe alle Altersgruppen, wurde auch bei der Präsentation der Einsamkeitsbeauftragten noch einmal herausgestellt. Aber vor allem davon betroffen seien ältere Menschen. Und schon deshalb viele im Bezirk Reinickendorf, wo jeder vierte Einwohner älter als 65 Jahre ist.
Um Einsame zu erreichen, setzen Bürgermeisterin und Einsamkeitsbeauftragte auch auf die Unterstützung von Arztpraxen. Niedergelassene Ärzten sollten die Möglichkeit bekommen, Rezepte für soziale und gesellschaftliche Teilhabe auszustellen und abzurechnen, sagte Emine Demirbüken-Wegner. Informationsmaterial in den Praxen könnte darauf hinweisen, wo die entsprechenden Angebote zu finden sind. Eine solche Behandlung wäre zielführender und kostengünstiger als das Verschreiben von Medikamenten.
Auch Alleinerziehende könnten unter Einsamkeit leiden, erinnerte Annabell Paris. Ebenso wie Menschen mit Migrationshintergrund, Paare, die sich auseinandergelebt hätten, Jugendliche, etwa wenn sie Mobbing ausgesetzt seien, selbst Personen, die auf den ersten Blick mitten im Leben zu stehen scheinen. Für diese und weitere Bevölkerungsgruppen gelte es passgenau Ansprachen zu entwickeln. Bei manchen Heranwachsenden vielleicht einfach dadurch, sie zu einer Kommunikation außerhalb ihres Smartphones zu animieren.
Konsequenz und Resonanz. Das Thema Einsamkeit sei nicht völlig neu, sagte Emine Demirbüken-Wegner. Andere Länder hätten teilweise schon lange Einsamkeitsbeauftragte auf nationaler Ebene, manchmal sogar Einsamkeitsministerien. Auch in Deutschland werde die Bedeutung zunehmend gesehen. Sie verwies dabei auf entsprechende Papiere von CDU, SPD und die Linke aus den vergangenen Jahren. Auch im Regierungsprogramm des schwarz-roten Senats in Berlin finde die Einsamkeit Erwähnung. So ziemlich alle hätten schon etwas gesagt, „einschließlich Lauterbach“, der aktuelle Bundesgesundheitsminister (SPD). Es gebe auch Konzepte, Programme, Austausch, aber keine geregelte Struktur. Bisher existierten „Projekte“, die könnten aber auch wieder beendet werden. „Einsamkeit hat keinen Topf, kein Förderungskonzept. Dabei ist es ein Thema, das vom Land mitfinanziert werden muss.“
Genau das passiert jetzt im Bezirk. Die Stelle der Einsamkeitsbeauftragten ist fest eingerichtet und damit auch keinen kurzfristigen Schwerpunktveränderungen oder Sparvorgaben unterworfen. Das macht ihren Stellenwert aus. Der ist bisher einmalig in Deutschland.
Es gebe inzwischen Nachahmer, erklärte die Bürgermeisterin mit Verweis auf die Resonanz nach der Reinickendorfer Vorreiterrolle. In Berlin wollten zwei Bezirke jetzt ebenfalls eine Einsamkeitsbeauftragte anstellen.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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