Als der Bezirk eine Fußballmacht war
Ein Buch erinnert an den einstigen Traditionsclub Wacker 04
Der Sportplatz an der Kienhorststraße ist heute Heimstätte des Berlin-Ligisten Reinickendorfer Füchse. Dass hier einst sogar Zweitligafußball geboten wurde, wissen heute wohl nur noch wenige.
Entlang der Nordseite des Platzes führt der Wackerweg. Wackerplatz war auch der frühere Name des Sportareals. Zu Hause war hier Wacker 04, ein einstmals bundesweit bekannter Reinickendorfer Fußballverein. Der Verein löste sich 1994 auf, geriet inzwischen weitgehend in Vergessenheit. Markus Franz hat ihn jetzt literarisch zum Leben erweckt. In der Fußballfibel-Reihe des Culturcon-Verlags ist seine auch persönlich geprägte Wacker 04-Biografie „SC Wacker 04 – Fußballfibel“ (18,99 Euro) erschienen.
Die Ziffern 04 stehen für das Gründungsjahr 1904. Um die Jahrhundertwende entstanden damals in Berlin viele Fußballclubs. Der Autor vermerkt sie akribisch, vergisst auch nicht viele Fusionen und Namensänderungen zu erwähnen, ehe Wacker 04 zu Wacker 04 wurde. Seit Beginn der 1920er-Jahre war die erste Herrenmannschaft fast durchgehend in der höchsten Berliner Spielklasse vertreten. 1923 kommt aus den Reihen des Clubs ihr erster und einziger deutscher Nationalspieler Fritz Bache, genannt Neipe. Er bringt es auf zwei Einsätze im Nationaltrikot.
Die ganz große Zeit von Wacker 04 beginnt aber erst ab Ende der 1960er-Jahre. Sie war nicht zuletzt ein Ergebnis der Verhältnisse im alten West-Berlin, die für den Verein zunächst Segen und später mehr Fluch bedeuteten. Die Älteren werden sich noch erinnern: Bevor der DFB 1974 zunächst zwei, ab 1981 eine zweite Bundesliga als Unterbau für die erste Liga einführte, wurden die Aufsteiger ins Fußball-Oberhaus durch eine Bundesliga-Aufstiegsrunde ermittelt. Dafür qualifiziert waren die jeweiligen Meister aus den fünf Regionalligen Süd, West, Nord, Südwest und Berlin. Berlin, sprich West-Berlin, bekam die Teilnahmeberechtigung vor allem aufgrund seiner exponierten Lage als Inselstadt. Das bedeutete gleichzeitig, wer in der dortigen Regionalliga, der Berliner Stadtliga, vorne mitspielte, war theoretisch nur noch wenige Schritte von der Bundesliga entfernt. Und zumindest war dem Verein einige Wochen bundesweite Prominenz sicher.
Wacker 04 war zwischen 1971 und 1973 drei Mal hintereinander Teilnehmer der Bundesliga-Aufstiegsrunde. 1972 hatte sich der Verein dafür sogar als Berliner Meister qualifiziert. Im ersten Jahr war das Team chancenlos, im zweiten lief es schon besser, im dritten war sogar ein Aufstieg in Reichweite. Der dadurch erarbeitete Status als zumindest dritte Kraft im Berliner Fußball sorgte auch dafür, dass der Verein 1974 zu den 20 Vertretern der neuen zweiten Bundesliga Nord gehörte. Drei Jahre wird sich die Mannschaft dort halten und 1978/79 noch einmal für eine Saison zurückkehren. Danach begann ein langer, wenn auch nicht kontinuierlicher Abstieg.
Der Autor gibt dieser Epoche selbstverständlich breiten Raum. Er erinnert an die damaligen Stars mit Namen Rainer Liedtke, Frank Misch oder Bernd Sobeck, dem Sohn der Hertha-Legende Hanne Sobek. Oder an Serge Racine, Nationalspieler aus Haiti, der nach der Fußball-WM 1974 bei Wacker spielte. Bekannte Trainer haben hier gewirkt. Bereits vor dem großen Höhenflug ein gewisser Pal Csernai, später Meistertrainer mit Bayern München. Oder Georg Gawliczek, einst Assistent unter Bundestrainer Sepp Herberger, Coach, unter anderem von Schalke 04, zum Ende seiner Karriere auch bei Hertha BSC. Und am längsten und immer wieder Klaus Basikow. Er und der ebenfalls Langzeit-Präsident Fritz Herz waren über weite Strecken Herz und Seele des Vereins.
Finanziell rutschte der Verein in der zweiten Liga immer tiefer in die roten Zahlen. Die lange Anreise von Berlin nach West- oder Norddeutschland war ein Grund dafür. Ein weiterer, noch entscheidender war das geringe Zuschauerinteresse. Der Wackerplatz galt als nicht zweitligatauglich, sodass Wacker 04 seine Spiele meist im Poststadion in Moabit austragen musste. Erst in der letzten Saison in der zweiten Liga änderte sich das, ohne dass das Publikum jetzt in Scharen die Spiele besucht hätte.
Nach dem Abstieg ging es etappenweise immer weiter nach unten. Nach der Wiedervereinigung spielte Wacker in der Oberliga-Nordost gegen Vereine, die in der DDR meist zum Unterbau oder, wie der zum FC Berlin mutierte BFC Dynamo, sogar zur Beletage des Fußballs gehört hatten und war in der Regel chancenlos. Das Aus kam am 2. Juli 1994. Der Verein wurde aufgelöst und die Mitglieder schlossen sich dem Lokalrivalen BFC Alemannia 90 an. SG Wacker-Alemannia, beziehungsweise später BFC Alemannia 90-Wacker lautete der Name für den Verein. Der Zusatz Wacker verschwand 2013.
Das traurige Finale ist Markus Franz nur eine kurze Erwähnung wert. Was bei seiner Vita nicht unbedingt verwundert. Der 1971 geborene Autor ist ein lebendes Relikt von Wacker 04. Er kickte als Kind in den Nachwuchsteams, war später begeisterter Fan, zeitweise auch verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins. Gerade die Zeit ab Anfang der 80er-Jahre, die er selbst bewusst miterlebt hat, wird sehr persönlich geschildert. Einstige Spieler kommen zu Wort. Manchmal geht es auch sehr ins Klein-Klein. In welcher Formation Wacker 04 vor mehr als 30 Jahren bei einem Oberligaspiel angetreten ist, interessiert heute wahrscheinlich nur noch Fußball-Feinschmecker. Andererseits erschien die Fußballfibel in der Reihe „Fans schreiben für Fans“ und richtet sich deshalb gerade an dieses Publikum.
Das Buch sollte allerdings nicht auf diesen Kreis beschränkt bleiben. Abseits seiner Kicker-Terminologie, wo es von Atze und Ratze, von Kutte und Kalli nur so wimmelt, bietet die Wacker-Biografie nicht nur Einblicke in diesen Verein, sondern ist insgesamt eine Zeitreise durch den deutschen Fußball und in eine Epoche, die jetzt mehr als vier Jahrzehnte zurückliegt. Und nicht zuletzt ist das Werk ein Stück Reinickendorfer Lokalgeschichte.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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