„Wir wollen den Titel“: Deutsches Team fiebert der Europameisterschaft entgegen
Berlin. Am Freitag, 10. Juni, wird die Fußball-Europameisterschaft (EM) 2016 mit der Partie Frankreich gegen Rumänien im Pariser Stade de France eröffnet. Am Sonntag, 12. Juni greift dann auch das deutsche Team in Lille mit dem Duell gegen die Ukraine (Anstoß um 21 Uhr) ins Geschehen ein. Für Bundestrainer Joachim „Jogi“ Löw ist, noch bevor der erste Ball gerollt ist, indes klar: „Wir wollen den Titel.“
14 Spieler stehen im deutschen Kader, die schon vor zwei Jahren in Brasilien Weltmeister geworden sind. Mit Leroy Sané, Julian Weigl und Joshua Kimmich setzt Bundestrainer Löw aber auch auf die Jugend.
Das wohl größte Fragezeichen steht hinter Kapitän Bastian Schweinsteiger. Der zentrale Mittelfeldspieler hat seit Monaten bei seinem Heimatclub Manchester United kein Spiel mehr absolviert – sein Gesundheitszustand ist für die deutsche Fangemeinde ein Rätsel. Ob der mittlerweile 31-Jährige in Frankreich auflaufen und zu einer Stütze im deutschen Team werden wird, bleibt abzuwarten. Für die im modernen Fußball vermutlich wichtigste Position, das zentrale Mittelfeld werden zunächst Sami Khedira und Toni Kroos wohl gesetzt sein.
Keine Alternative
In der Innenverteidigung stellt sich die Frage, wer nach der Verletzung von Mats Hummels neben Jérôme Boateng gegen die Ukraine auflaufen wird. Zurzeit scheint Antonio Rüdiger vom AS Rom die besten Karten zu haben. Die größte Baustelle im deutschen Fußball war, ist und bleibt vermutlich auch in den nächsten Jahren die Außenverteidigerposition: Links ist Jonas Hector vom 1. FC Köln gesetzt – aber nicht, weil er ein so großartiger Fußballer ist, sondern weil es schlicht an Alternativen mangelt. Bei der WM hatte diese Position der gelernte Innenverteidiger Benedikt Höwedes bekleidet. Doch der Schalker war lange verletzt und hat seit über einem halben Jahr kein Spiel über 90 Minuten absolviert. Für die rechte Seite hat Löw überhaupt keinen gelernten Außenverteidiger im Kader. Es ist davon auszugehen, dass Emre Can vom FC Liverpool, eigentlich im zentralen Mittelfeld zu Hause, diese Position ausfüllen wird.
Im offensiven Mittelfeld liegen die Hoffnungen der Deutschen einmal mehr auf Mesut Özil: Der 27-Jährige hatte sich unlängst viel Respekt verschafft, als er nach dem Ende der Saison mit Arsenal London nach Mekka gepilgert war. Allein auf Facebook hatten wenige Stunden nach der Veröffentlichung eines Fotos von Özil mehr als 1,4 Millionen Nutzer darauf reagiert. Der Edeltechniker, der in den Augen vieler Kritiker insbesondere mit dem Adler auf der Brust oft zu lethargisch und mit zu wenig Esprit agiert, war unlängst zum besten Spieler der englischen Premier League gewählt worden. Somit erhoffen sich insbesondere auch seine Kritiker, dass er bei der EM nun endlich auch im Nationalteam glänzen wird.
Thomas Müller ist im Angriff gesetzt. Darüber gibt es keine zwei Meinungen. In der Offensive hat Jogi Löw die Qual der Wahl: Mit Julian Draxler und André Schürrle hat er quirlige, technisch starke Spieler im Kader, die über außen für viel Gefahr sorgen, aber auch selbst Torgefahr entwickeln können. Und dass Mario Götze, bei den Bayern nur Edelreservist, das Vertrauen des Bundestrainers genießt und im Nationalteam eine wichtige Rolle spielen kann, hat er nicht zuletzt auch mit seinem Tor im WM-Finale bewiesen.
Zur Überraschung vieler verzichtete Löw indes auf Marco Reus, der eine starke Saison gespielt hat. Der Dortmunder soll an einer hartnäckigen Verletzung im Adduktorenbereich laborieren. Die Chance, dass er während der EM noch fit werde, sei als sehr gering eingestuft worden.
Mit Mario Gomez steht aber nur ein richtiger Mittelstürmer im Kader, an dem sich ohnehin die Geister scheiden: Der technisch vermutlich am wenigsten versierte Spieler des gesamten Kaders ist bei vielen deutschen Fans als „Rumpelfußballer“ und „Chancentod“ verschrien. Fakt ist aber auch, dass Gomez in der abgelaufenen Saison mit 26 Treffern Torschützenkönig in der türkischen Liga geworden ist und Besiktas Istanbul zum Meister geschossen hat. Und Lukas Podolski? Der mittlerweile 31-jährige Angreifer wird – seriös betrachtet – in Frankreich nur noch wenig Einsatzzeit bekommen. Aber Podolski hat bei großen Turnieren schon in der Vergangenheit bewiesen, dass er als Stimmungskanone gilt. Und dass das Klima innerhalb einer Mannschaft letztlich große Auswirkungen auf den Erfolg, aber auch den Misserfolg einer deutschen Nationalmannschaft bei einem Turnier haben kann, hat die Vergangenheit eindrucksvoll bewiesen.
Die Gruppengegner
Betrachtet man die deutschen Gruppengegner wird vielerorts vom oft zitierten Losglück gesprochen. Doch Vorsicht: Die Ukraine und Nordirland gelten als kämpferisch stark. Für beide Länder war allein schon die Qualifikation für die EM ein Riesenerfolg. Entsprechend euphorisch werden diese Teams auftreten, von ihren Fans unterstützt werden und alles in die Waagschale werfen. Und gegen tief stehende Mannschaften hat sich die deutsche Nationalmannschaft auch schon in der Qualifikation immer wieder schwer getan. Der stärkste Gegner wird aber ohne Frage Polen sein, gegen das die Deutschen schon in der Qualifikation verloren haben. Mit Robert Lewandowski verfügt unser Nachbar über einen Stürmer von Weltklasse, der in der abgelaufenen Spielzeit mit 30 Toren die viertmeisten Treffer markieren konnte, die jemals in der Fußball-Bundesliga in einer Saison erzielt worden sind. Nur Gerd und Dieter Müller waren treffsicherer. Letztlich ist und bleibt das deutsche Team aber der klare Favorit in der Gruppe C. Alles andere als ein souveräner Einzug ins Achtelfinale – und das als Gruppensieger – wäre eine große Enttäuschung.
Alles sicher?
Bleibt die Frage nach der Sicherheit: 70 000 Polizisten sollen für einen reibungslosen Ablauf der Europameisterschaft sorgen. Zweieinhalb Millionen Fans, die die 51 Spiele in den zehn Spielstätten besuchen werden, und rund 10 Millionen Besucher beim Public Viewing müssen geschützt werden. Darüber hinaus setzt die UEFA mehr als 10 000 Sicherheitskräfte ein. Das sind 900 pro Spiel – und damit mehr Personal als jemals zuvor. Die Behörden haben den Ausnahmezustand um zwei Monate bis Ende Juli verlängert und führen auch während der EM weiter Grenzkontrollen durch.
Darüber hinaus haben die Gewerkschaften Streiks angekündigt: Man habe beschlossen, an jedem Spieltag in den jeweiligen Austragungsorten zum Streik aufzurufen, kündigte die Force Ouvrier, einer der größten Arbeitnehmervertreter, an. Busse und Bahnen könnten stillstehen, auch Piloten wollen streiken – die Fans könnten die jeweiligen Spielorte unter Umständen also gar nicht erst erreichen. Frank Baasner, Direktor des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg, beschwichtigt indes: Die streikenden Gewerkschaften seien viel zu klein, um einen reibungslosen Ablauf der EM wirklich ernsthaft zu gefährden. min
Autor:Michael Nittel aus Reinickendorf |
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