Pop-Up und weitere Radwege
Streit um die Entwicklung der Fahrradinfrastruktur in Reinickendorf
Reinickendorf sei beim Aufbau einer Fahrradinfrastruktur das Schlusslicht in Berlin, klagen Bürgerinitiativen, der ADFC oder Changing Cities. Unter den Parteien sehen das vor allem Grüne und Linke auch so.
Der Ausbau von Fahrradwegen löse nicht die Verkehrsprobleme und der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs bringe die Mobilitätswende schneller voran: diese Meinung vertritt Verkehrsstadträtin Katrin Schultze-Berndt (CDU) und weiß ihre Partei hinter sich. Der Bezirk sei auch nicht untätig geblieben und habe 14 Kilometer neue Radwege allein in dieser Legislaturperiode geschaffen.
An diesen Zahlen hegten der Linke-Fraktionsvorsitzende Felix Lederle und der Grünen Verkehrsexperte Jens Augner Zweifel und wollten dazu per Anfrage genaue Angaben. Aus der nun vorliegenden Antwort geht hervor, dass die Gesamtkilometerzahl längere Abschnitte enthält, wie der knapp fünf Kilometer lange neue Radweg an der Oranienburger Straße oder der vier Kilometer lange Radweg entlang der Hennigsdorfer Straße. In der Gesamtzahl sind ebenso Kurzstrecken enthalten. Der kürzeste Abschnitt entstand mit 45 Metern an der Bernauer Straße. Nicht überall entsprächen die Radwege oder Radstreifen den Vorgaben des Berliner Mobilitätsgesetz. Denn manche Vorhaben wären bereits vor dessen Verabschiedung abgeschlossen gewesen, hieß es zur Begründung.
Fahrradfans bemängeln dagegen die noch immer viel zu wenigen gesonderten Zweiradstreifen speziell an Hauptverkehrsstraßen. Mit mehreren Demonstrationen wurde dem Anliegen Nachdruck verliehen, wie zuletzt am 11. Juni mit einer großen Pedaltreter-Parade mit Start und Ziel am S-Bahnhof Wittenau.
Im Mittelpunkt stand dabei die Forderung nach sogenannten Pop-Up-Radwegen auch in Reinickendorf. Die Pop-Up-Variante entstand zu Beginn der Coronazeit, als der Senat temporäre Radspuren auf Straßen erlaubte. Unter anderem mit der Begründung, dass wegen der Pandemie weniger Autos als sonst unterwegs waren und weniger Menschen aufgrund des Ansteckungsrisikos die öffentlichen Nahverkehrsmittel nutzten. Als Mittel der Fortbewegung vor allem das Fahrrad. Da deshalb mit noch einmal vermehrtem Aufkommen an Zweiradpiloten gerechnet werde, bräuchten die mehr Platz. Auch um ihre Sicherheit zu gewährleisten und damit sie das Abstandsgebot einhalten können.
Als erster Bezirk nutzte Friedrichshain-Kreuzberg die Pop-Up-Möglichkeit. Andere folgten. In Reinickendorf, so beklagen die Befürworter, sei dagegen keine einzige Pop-Up-Strecke entstanden.
Warum, lässt sich ganz gut am aktuellen Vorstoß für ein solches Vorhaben ablesen. Er betrifft die Ollenhauerstraße, auf der ohnehin ein Umbau geplant ist.
Die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz habe dort auch das Einrichten eines Pop-Up-Radwegs zwischen Pfahlerstraße und Schulenburgallee in nördlicher sowie Kienhorststraße und Auguste-Viktoria-Allee in südlicher Richtung angeregt, heißt es in der Antwort auf eine Anfrage, die ebenfalls Felix Lederle gestellt hatte. Dem stehe das Bezirksamt aber "kritisch gegenüber" und begründet dies mit einer erwarteten hohen Belastung der Ollenhauerstraße, wenn ab kommendem Jahr zunächst die U-Bahnlinie 6, in der Folge die Strecke der S-Bahnlinie 25 und dann, voraussichtlich ab 2024, die Autobahn A111 saniert werden. Deweiteren würden durch einen solchen Pop-Up-Radweg etwa 80 Stellplätze wegfallen. Das erhöhe den Parkdruck in den ohnehin schon ausgelasteten Nebenstraßen. Außerdem hat das Bezirksamt wegen des häufigen Parkens in zweiter Reihe erhebliche Sicherheitsbedenken. Und die Pop-Up-Radwege müssten verpflichtend kontrolliert werden. Nach den Vorgaben zwei Mal an Werktagen, ein Mal an Sonn- und Feiertagen. Das sei aber personell nicht zu leisten. Stattdessen möchte das Bezirksamt beim Neubau der Ollenhauerstraße "mobilitätsgesetzkonforme Radverkehrsanlagen" errichten.
Rückendeckung bekommt die CDU-Verkehrsstadträtin von der CDU-Abgeordneten Emine Demirbüken-Wegner. Sie hatte die Bevölkerung zu ihrer Meinung zu einem Pop-Up-Radweg befragt und dazu 1084 Handzettel n der Ollenhauerstraße und in angrenzenden Bereichen verteilen lassen. Es habe 482 Rückläufe gegeben. Die Auswertung habe ergeben, dass nur acht Prozent einen solchen Radweg befürworteten und 61 Prozent sich dagegen aussprachen. 30 Prozent befürworteten den Neubau einer dauerhaften Fahrradverbindung.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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