Für einige Lehrer war die Karriere vorbei
So erlebte Dieter Usemann den Umbruch des Schulwesens
„Das war eine spannende Zeit“, sagt Dieter Usemann, wenn er auf die Wiedervereinigung vor 30 Jahren zurückblickt. Ihn persönlich stellten die damaligen Ereignisse vor eine enorme Herausforderung. Der heute 71-Jährige hatte zu jener Zeit die Aufgabe, das alte Schulsystem der DDR in das neue, in Westberlin geltende Schulsystem zu überführen. Beide waren von Grund auf verschieden.
Während es in der DDR das einheitliche Bildungssystem gab, setzte man in der Bundesrepublik auf das gegliederte Schulsystem. In der DDR gab es die Polytechnischen Oberschulen (POS) für die Klassenstufen 1 bis 10 und die Erweiterten Oberschulen (EOS) für die Klassenstufen 11 bis 12. In Westberlin hingegen entschied sich für die Schüler nach den ersten sechs Schuljahren in der Grundschule, ob sie danach auf eine Haupt-, Real-, Gesamtschule oder aufs Gymnasium wechselten. Mit der Wiedervereinigung stellte sich für Eltern aus dem Osten plötzlich erstmals die Frage, welche Schule ihr Kind nach der sechsten Klasse besuchen wird.
„Wir mussten damals eine Abfrage machen und haben aufgrund einer Prognose eine neue Struktur entwickelt“, erklärt Dieter Usemann. „Das Schuljahr 1990/91 wurde noch nach dem alten System zu Ende gebracht“, erinnert er sich. Mit der Übernahme des Schulgesetzes in den östlichen Bezirken ab dem 1. August 1991 hatte das bisherige einheitliche Bildungssystem dann aber endgültig ausgesorgt.
Systemwechsel in den Schulen
Usemann hatte damals die Aufgabe, 28 POS und eine EOS sowie zwei Sonderschulen im Bezirk Köpenick zum Schuljahr 1991/1992 umzuwandeln. Daraus wurden 15 Grundschulen, eine gemischte Haupt- und Realschule, eine reine Realschule, fünf Gymnasien, fünf Gesamtschulen und drei Sonderschulen, die von lern-, sprach- oder geistig behinderten Schülern besucht wurden. Hinzu kamen fünf Berufsschulen. Lehrbücher, Ausstattung – alles musste neu besorgt werden. Der Senat gab damals viel Geld aus, auch für Baumaßnahmen. Räume für die Fächer Musik, Kunst und für die Naturwissenschaften mussten den neuen Anforderungen angepasst werden. Sporthallen wurden saniert. „Die westlichen Standards waren eben höher“, sagt Usemann.
Überall mussten neue Schulleiter gefunden und danach die Lehrer an die Schulen verteilt werden. Um weiterhin im öffentlichen Dienst tätig sein zu dürfen, mussten sie vorher umfangreiche Qualifizierungen im für sie neuen Verfassungs-, Staats- und Schulrecht absolvieren. Alle Lehrer, so erzählt Usemann, wurden damals zu ihrer Stasi-Vergangenheit befragt. „Wer eine Verbindung zur Stasi als IM (Inoffizieller Mitarbeiter) hatte, war als Lehrer erledigt. Diejenigen mussten von heute auf morgen ihre Sachen packen. Ich habe irgendwann mal meine Stasi-Akte gelesen. Da gab es schon Hinweise, dass sie mich beobachtet haben.“ Er selbst habe immer befürchtet, dass vielleicht einer seiner Freunde ein Spitzel war. Dies sei aber „Gott sei Dank“ nicht der Fall gewesen.
Dieter Usemann studierte von 1968 bis 1972 an der Humboldt-Universität und unterrichtete anschließend als Mathe- und Physiklehrer an der Schule für Deutsch-Sowjetische Freundschaft sowie später an der 1. POS Fritz Weineck. Dort wurde er zum Schulleiter und wechselte bald darauf in die Köpenicker Schulverwaltung. Als zweiter stellvertretender Stadtbezirksschulrat war er bis zur Wende für Planung, Haushalt und Schulorganisation zuständig.
Beiderseits Vor- und Nachteile
Nach dem Ende der DDR kam ihm die Aufgabe zu, die Abteilung Volksbildung neu aufzubauen. In seinen Bereich fiel auch das Lehrerpersonal. „Man hat die Einmischung schon gemerkt“, so Usemann, wenn er an die Lernpläne in der DDR zurückdenkt. Besonders die Fächer Staatsbürgerkunde und Geschichte seien bei der „Heranbildung sozialistischer Persönlichkeiten“ relevant gewesen. Als Lehrer für Mathe und Physik war er aber nicht beeinflussbar. „In Mathe kannst du höchstens mal eine Textaufgabe tendenziös formulieren.“
Im Nachhinein betrachtet sei das Schulsystem des Westens nicht unbedingt besser als das im Osten gewesen. Es habe Vor- und Nachteile gegeben. „Es war ideologiefrei, aber in der DDR waren die Schüler viel mehr beschäftigt. Es wurde sich um die Schüler gekümmert, auch um die schwierigen. Heute werden viele alleine gelassen und wissen mit ihrer Freizeit wenig anzufangen“, meint er.
Usemann leitete noch bis 2014 das Schulamt von Treptow-Köpenick. Heute ist er Pensionär, steht allerdings noch immer mit vielen Personen aus dem bezirklichen Schulwesen in Kontakt.
Autor:Philipp Hartmann aus Köpenick |
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