Als die Industrialisierung Fahrt aufnahm
Der Eierschneider ist ein echter Lichtenberger
Es gibt rückblickend eigentlich kaum ein Produkt, das nicht in Lichtenberg gefertigt wurde.
Dieses Fazit zieht Dr. Dirk Moldt, Sammlungs- und Archivleiter des Museums im Stadthaus an der Türrschmidtstraße 24. „Es wurden Autos, Flugzeuge, Batterien, Eierschneider und Brotschneidemaschinen hergestellt. Was mir als gelerntem Uhrmacher fehlt, ist allerdings eine Uhrenfabrik“, sagt Moldt schmunzelnd, als er den Reporter durch die neue Dauerausstellung „Was? Wer? Wo? Wow!“ führt. In ihrem Mittelpunkt stehen die Themen Arbeiten, Leben und Verändern in Lichtenberg. Diesen wird in vier Ausstellungsräumen nachgegangen. Im Raum WAS? wird von Ereignissen aus der Geschichte erzählt. Im Bereich WO? präsentiert die Ausstellung die Vielfalt der Ortsteile. Im Raum WER? dreht sich alles um Personen. Und unter WOW! wird indes Überraschendes präsentiert.
Dazu zählen auch Innovationen und Erfindungen aus Industrie und Gewerbe. Kaum vorstellbar ist heute, dass 1860 erst 600 Menschen in Lichtenberg lebten. Das Dorf war von Ackerland umgeben, aus dessen Boden innerhalb von 50 Jahren Industriebetriebe, Gewerbegebiete und Wohnquartiere wuchsen. Unter der Ägide von Oskar Ziethen wurde Lichtenberg 1907 mit bereits 69 000 Einwohnern eine eigenständige Stadt. Ziethen war 1896 zum Amts- und Gemeindevorsteher berufen worden und war dann bis 1921 Bürgermeister. Mit der Gründung von Groß-Berlin 1920 kamen Biesdorf, Mahlsdorf, Kaulsdorf, Marzahn und Hellersdorf zum Stadtbezirk. Bereits 1918 hatten sich Karlshorst und Friedrichsfelde angeschlossen. Als 17. Berliner Bezirk zählte Lichtenberg vor 100 Jahren bereits 180 000 Einwohner. Heute sind es knapp 300 000.
Dass die Einwohnerzahl stetig zunahm, hatte nicht nur mit Eingemeindungen zu tun. Vor 150 Jahren nahm die Industrialisierung rasant Fahrt auf. Aus Platznot wanderten viele Fabriken an den damaligen Rand der Stadt aus. Und Lichtenberg warb mit Fabrikbaustellen „nur 4,5 Kilometer vom Alexanderplatz“ entfernt. Wie rasant sich Industrie und Gewerbe entwickelten, ist zu Beginn des Rundgangs durch die Ausstellung zu erfahren. So kaufte das Unternehmen, das später unter dem Namen Aceta bekannt wurde, zum Beispiel Bauland am Rummelsburger See. Die Firma machte sich mit der Herstellung von Farbstoffen und mit der Erfindung von Kunstseide einen Namen.
Später siedelten sich weitere große Unternehmen, wie Elektrokohle (gegründet von Siemens & Halske) oder Knorr-Bremse (gegründet von Ingenieur Georg Knorr) an. Was die wenigsten vielleicht wissen: Ab 1907 baute und erprobte Siemens in Biesdorf sogar ein Luftschiff. Und an der Herzbergstraße entwickelte die Aktiengesellschaft für Automobilbau den AGA-Wagen. Von 1919 bis 1929 verkaufte das Unternehmen mehr als 12 000 Automobile, die in Berlin bevorzugt als Taxis eingesetzt wurden.
In der Ausstellung ist auch mehr über Lichtenberger Erfindungen zu erfahren. Eine der bekanntesten ist sicher der Eierteiler oder -schneider von Willy Abel. Inspiriert von seiner Frau Margarethe entwickelte der Erfinder eine ganze Reihe von mechanischen Helfern, die er in seiner Firma, den Harras-Werken produzieren ließ. Den Harras-Original-Eierteiler verkaufte er ab 1912 weltweit. Besonders beliebt war er in den USA. Aber auch Brotschneidemaschinen und Messerschärfer wurden produziert.
Zur Ausstellung ist auch ein Katalog (https://bwurl.de/17qb) erschienen und für 15 Euro unter anderem im Museum erhältlich. Geöffnet ist Dienstag bis Freitag 11 bis 18 Uhr und Sonntag 14 bis 18 Uhr, www.museum-lichtenberg.de.
Autor:Bernd Wähner aus Pankow |
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