„Kommunalpolitik ist nichts für Ungeduldige“
Interview mit Bürgermeister Martin Schaefer
Was war schwierig im vergangenen Jahr, was ist gelungen, welche Herausforderungen bringt 2025? Berliner-Woche-Reporterin Ulrike Martin unterhielt sich mit Bürgermeister Martin Schaefer (CDU) über fehlende Finanzen, die Unterbringung von Geflüchteten, die Imagekampagne „Der Berg ruft“ und Lieblingsplätze.
Herr Schaefer, wenn Sie auf das Jahr 2024 zurückblicken: Was hat Sie besonders beeindruckt, welche Projekte sehen Sie als Erfolge an?
Martin Schaefer: Das vergangene Jahr hat einiges mit sich gebracht – auch ungeplante Veränderungen hier im Bezirksamt und der Bezirksverordnetenversammlung. Das war nicht immer leicht. Wir haben aber eine vertrauensvolle Basis für die gemeinsame Arbeit gefunden. Das ist keine Selbstverständlichkeit aber sehr wichtig, weil wir für über 310 000 Menschen Verantwortung haben. Ich danke meinen Kolleginnen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr dafür. Diese Stabilität ist ein Erfolg. Und vielleicht ist es Ihnen auch aufgefallen: Wir waren und sind überall im Straßenland mit unserer Kampagne „Der Berg ruft“ zu sehen. Das kommt sehr gut an und immer mehr Menschen überlegen, Teil des Teams in Lichtenberg zu werden.
Was ist nicht gelungen, und woran lag es?
Martin Schaefer: Manche Prozesse in Berlin dauern einfach viel zu lange oder es fehlen weitere, zusätzliche Finanzen. Kommunalpolitik ist nichts für Ungeduldige. Daher sind wir noch nicht abschließend fertig geworden mit den dringenden Sanierungen unserer älteren Schulgebäude. Und auch die Digitalisierung kommt nur langsam voran: Es muss schnell eine Selbstverständlichkeit werden, alle Anträge bei der Verwaltung auch digital stellen zu können, aber nicht zu müssen. Denn nicht alle Menschen greifen dafür auf einen Computer zurück.
Was war die größte Herausforderung, die im Bezirk gestemmt werden musste?
Martin Schaefer: Die größte Herausforderung war und bleibt die Unterbringung und Integration von geflüchteten Menschen. Die Akzeptanz in der Bevölkerung wird dabei immer kleiner und ich verstehe die Nachbarschaften, die sich Sorgen machen und Ängste um die Zukunft haben. Lichtenberg leistet hier einen enorm großen Beitrag. Doch wir sind an der Grenze des Möglichen angekommen und fordern daher eindeutig, nicht weiter belastet zu werden. So ist es ein großer Erfolg, eine Fläche in der Klützer Straße als Schulstandort gesichert zu haben. Dort entsteht nun keine weitere Unterkunft.
Worüber haben Sie sich am meisten geärgert?
Martin Schaefer: Ich finde es schade, wenn wir uns durch vermeintliche Misserfolge runterziehen lassen. Ja, nicht alles klappt immer gleich auf Anhieb, aber es gibt sehr viel, worüber wir uns freuen und worauf wir auch stolz sein können. Bei allen Problemen: Ich bin dankbar, in diesem Land leben zu können. Was mich aber wirklich ärgert und besorgt, ist die mangelnde Toleranz und Sachlichkeit in manchen Diskussionen. Vielleicht ist dies ein nötiges Vorhaben für 2025: wieder mehr Respekt und Freundlichkeit in unseren Debatten.
Die immer wiederkehrenden Themen sind fehlende Schulplätze, fehlende Wohnungen. Vieles wurde umgesetzt. Was steht in 2025 auf der Agenda?
Martin Schaefer: Lichtenberg ist Spitzenreiter, sowohl was den Wohnungsbau angeht, als auch die Schaffung von Schul- und Kitaplätzen. Da dürfen wir auch nicht nachlassen. Doch Wohnungsbau ergibt nur einen Sinn, wenn die Menschen dann dort auch eine ärztliche Versorgung haben, Bildung für ihre Kinder in Wohnortnähe, einkaufen können, wenn es einen Bus gibt. Das bedeutet: Die Infrastruktur muss mitwachsen, wenn wir auch von der Einwohnerzahl her weiterwachsen.
Der Senat will im nächsten Jahr drei Milliarden Euro sparen. Was bedeutet das für den Bezirk? Gibt es konkret Projekte, die Sie gefährdet sehen? Zum Beispiel bei Kulturangeboten?
Martin Schaefer: Der offizielle Beschluss zu den Kürzungen wird in diesen Tagen getroffen. Das bedeutet dann auch eine Kürzung bei Sonderprogrammen für Lichtenberg, die es sonst im Laufe des Jahres noch zusätzlich gab und die wir an freie Träger oder Künstler weitergereicht haben. Das wird leider weniger werden und wir müssen darauf sachorientiert reagieren. Im bezirklichen Haushalt habe ich allerdings frühzeitig entschieden, dass wir nicht bei den sozialen Treffpunkten, der Musikschule und den Bibliotheken kürzen. Dazu zählt auch die Volkshochschule, die wir sogar mit einem zweiten Standort in Hohenschönhausen noch ausbauen werden.
Welche privaten Wünsche und Ziele haben Sie für das neue Jahr?
Martin Schaefer: Mein ganz persönlicher Wunsch ist, dass wir als Gesellschaft uns nicht von den aktuellen Herausforderungen auseinandertreiben lassen, dass wir nicht auf die vermeintlich einfachen Antworten bei komplizierten Fragen hereinfallen. Der Frust mancher Menschen ist so groß, dass sie die Lösung bei den Populisten suchen.
Doch die Geschichte hat gezeigt, dass die immer zu Enttäuschungen und weiteren Verwerfungen geführt hat. Wir hatten und haben eine starke Zivilgesellschaft in Lichtenberg. Auch aus den Erfahrungen der 1990er-Jahre heraus. Die ist nun wieder gefragt und es geht um nichts weniger als um unsere offene Gesellschaft und Demokratie. Es ist jetzt an uns, das gemeinsam im Schulterschluss der Demokraten auch ganz deutlich so zu sagen und zeigen. Ich bin zuversichtlich, dass Lichtenberg ein bunter und weltoffener Bezirk bleibt.
Haben Sie einen oder mehrere Lieblingsplätze im Bezirk?
Martin Schaefer: Das ist die schwerste Frage überhaupt, denn in Lichtenberg und Hohenschönhausen gibt es natürlich unzählige wirklich wunderschöne Orte: unsere Naturschutzgebiete, den Tierpark oder die Trabrennbahn Karlshorst. Aber wenn es nur der eine Ort sein darf, dann ist es meine Wohnung im Weitlingkiez, weil ich meiner Familie sehr dankbar bin, die mich bei meiner Aufgabe als Bürgermeister sehr unterstützt.
Autor:Ulrike Martin aus Neukölln |
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