Jobst Liebrecht über seine Orchesterarbeit
"Bis zu einem gewissen Grad mag ich auch Undiszipliniertheit"
„Ich mache das mit sehr viel Leidenschaft. Es gibt auch mal Erschöpfungszustände, aber das endet bei mir immer schnell. Denn dann kommt die nächste Probe und das ist dann wieder sehr beflügelnd.“ So beschreibt Jobst Liebrecht (57) sein Innenleben, wenn er mit Kindern und Jugendlichen Musik macht.
Seit er 2005 das Jugendsinfonieorchester Marzahn-Hellersdorf gegründet hat, hat er etwa 300 bis 400 Musikschüler im Bezirk betreut. Einmal pro Woche ist er in Marzahn, um dort zwei Orchester anzuleiten. Außerdem betreut er noch ein anderes Jugendorchester in Friedrichshain und komponiert. Seine Hauptaufgabe sieht er darin, die jungen Solisten so aufeinander abzustimmen, dass sie als Orchester funktionieren.
Den Unterschied zwischen der Arbeit mit Erwachsenen und Jugendlichen beschreibt er so: „Bei Erwachsenen läuft es sehr konzentriert ab. Jugendliche haben mehr Pep, mehr Energie, aber die ist noch nicht gebündelt, sondern tobt sich im Raum aus.“ Bei Kindern sei der Klang noch unrein, habe etwas Wildes. „Ich mag das gern. Bis zu einem gewissen Grad mag ich auch Undiszipliniertheit.“
Was ihn an der Arbeit fasziniert, sind unter anderem die vielen Ideen der Kinder, auf die er selbst niemals kommen würde. So erinnert er sich zum Beispiel an einen Achtjährigen, der ihn besonders verblüffte. „Das war ein eigenwilliger Typ. Der machte von seinem Geigenbogen einfach eine Saite ab und einen Knoten rein.“ Außerdem habe er nur mit der einen Saite auf der Geige gespielt. Das Ergebnis sei ein anderer, besonderer Klang gewesen.
Ein paar Dinge gibt Jobst Liebrecht vor, doch er lässt auch Raum für Entfaltung. „Die Kinder sollten Bach, Mozart und Beethoven kennenlernen, aber auch Improvisation finde ich wichtig. Wir spielen auch sehr viel neue Musik.“ Das Konzept des Jugendsinfonieorchesters, das er damals auf Wunsch junger Blockflötenspieler gemeinsam mit der Musikschule gegründet hat, sieht vor, dass er die Schüler schon im Alter von acht Jahren und dann bis zum Abitur betreut. „Sie wachsen viele Jahre mit mir zusammen auf.“ Etwa ein Drittel breche irgendwann ab, doch einige Musikschüler blieben ihm auch später noch verbunden.
Liebrecht selbst fing im Alter von sechs Jahren an, Cello zu spielen, wurde dann Mitglied in einem Orchester. Als Jugendlicher lernte er Gitarre und lebte sich in verschiedenen Bands aus, spielte vor allem Blues und Pop und schrieb Songs. Mit 16 kam er ins Hamburger Jugendorchester. Dort beeindruckte ihn, wie die Musikschüler untereinander fachsimpelten. Auch Reisen nach Italien und Frankreich sind ihm in Erinnerung geblieben. Während seines Germanistik- und Theologiestudiums in Tübingen spielte er nebenher immer in einem Studentenorchester. Irgendwann erkannte er, dass die Studienfächer nicht das Richtige für ihn waren. Er brach das Studium ab und wechselte zur Schulmusik. Damit war der Grundstein für seinen Berufsweg gelegt.
Für seine Arbeit wurde Jobst Liebrecht 2004 mit einem der bedeutendsten Musikpreise ausgezeichnet. Damals gewann er den „Echo Klassik“ in der Kategorie „Klassik für Kinder“ für seine CD zur Märchenoper „Pollicino“ von Hans Werner Henze. Die Trophäe steht heute zwischen Lautsprecherboxen auf einem Schrank. Dem bekannten Komponisten, dessen Name die Musikschule Marzahn-Hellersdorf seit 2008 trägt, assistierte er jahrelang. „Henze war mein Lehrer als Komponist.“ Kennengelernt haben sich die beiden 1998, als Liebrecht ein Stück von ihm dirigierte. „Ich habe seine Noten aufgeschrieben, seine Werke zu Papier gebracht. Er war da schon sehr alt“, blickt er zurück. Mehrmals im Jahr habe er bei Hans Werner Henze sogar gewohnt, in einer Villa mit Blick auf Rom.
Liebrecht selbst spielt Cello, Gitarre und Klavier. In seiner Wohnung in Zehlendorf stehen unter anderem eine Wurlitzer Orgel und weitere Instrumente. „Gern würde ich mir noch ein Cembalo kaufen, aber meine Frau meint, das wird dann zu voll“, erzählt er. Sein 19-jähriger Sohn, der von klein auf bei den Proben mit dabei war, spielt Geige und Bratsche. Ein Berufsmusiker wird aus ihm allerdings wohl nicht. „Er studiert Archäologie“, wie Jobst Liebrecht berichtet. Wenn er selbst Musik hört, dann inzwischen vor allem analytisch. „Ich bin Fan von den Beach Boys.“ Den Komponisten und kreativen Kopf der Band, Brian Wilson, verehre er.
Seine Arbeit als Leiter des Jugendsinfonieorchesters möchte Jobst Liebrecht noch lange fortführen. Für Marzahn-Hellersdorf würde er sich in Zukunft den Bau eines Konzertsaals wünschen. Die Bühne im Freizeitforum Marzahn sei zu klein. „Es gibt dort keinen richtigen Ort, wo man schöne klassische Konzerte spielen kann.“
Autor:Philipp Hartmann aus Köpenick |
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