Fiktiv, aber mit Realitätsbezug
Roman über den Bau des Steglitzer Kreisels

Der reale Steglitzer Kreisel 1973 im Bau - im Roman wird er zum Kegel.  | Foto: Henri Funck, Wikimedia, Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0
  • Der reale Steglitzer Kreisel 1973 im Bau - im Roman wird er zum Kegel.
  • Foto: Henri Funck, Wikimedia, Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0
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Während der Steglitzer Kreisel derzeit eingerüstet und Gegenstand in der Berliner Gerichtslandschaft ist, liegt nun ein knapp über 400 Seiten starkes Buch vor, das in die Geschichte dieses Bauwerks zurück führt. Genau genommen handelt der Roman, den der Journalist und Autor Till Raether jetzt im Verlag btb herausgebracht hat, von seiner Architektin Sigrid Kressmann-Zschach. Wer jedoch in dem Buch ihren Namen sucht, wird zumindest hier enttäuscht, sind doch „die Architektin und alle anderen Personen in diesem Roman fiktive Personen“, wie Raether in seiner Nachbemerkung geschrieben hat.

Herausgekommen ist eine spannende Geschichte über die Beziehungen und Verflechtungen im West-Berlin der späten 1960er- und frühen 70er-Jahre, in der eine Baulöwin die Fäden zieht, die aber nie bei ihrem richtigen Namen genannt wird. Allerdings erkennt die geschichtsbewusste Leserin, der an Stadthistorie interessierte Leser in dieser Geschichte auch heute noch leicht die vorhandenen Realitätsbezüge im Buch. Zum Beispiel schreibt der junge Otto Bretz, eine der Hauptfiguren und Gegenspieler der Architektin, für die damalige Tageszeitung Spandauer Volksblatt, heute eine Ausgabe der Berliner Woche: „Schließlich hatte er das Spandauer Volksblatt wieder auf die Landkarte gebracht. Diese Woche wurde aus ihrem Lokalteil abgeschrieben.“ (S. 160).
Ältere West-Berliner, zumindest jedoch Menschen aus dem Altbezirk Steglitz werden also bei der durchaus unterhaltsamen Lektüre vieles von dem wiedererkennen, was damals rund um den skandalumwehten Bau des knapp 120 Meter hohen 30-Geschossers geschehen ist. Und vielleicht wird ja der eine oder die andere bei der Beschreibung von Zeitkolorit sogar wehmütig in alten Erinnerungen schwelgen.

Warum jedoch der sogenannte Bierpinsel an der Schlossstraße den Schutzumschlag des Bandes ziert, dürfte ein Rätsel des Verlags und seines Covergestalters semper smile bleiben: Zwar befindet sich der Bierpinsel wie der Kreisel in Steglitz, wurde etwa zur gleichen Zeit gebaut, steht gleichfalls seit Jahren leer und dürfte ebenfalls so etwas wie ein bezirkliches Wahrzeichen sein. Doch damit enden auch schon alle Parallelitäten. Die Architekten des auch heute noch eher futuristisch wirkenden „Turmbaus“ waren Ralf Schüler und Ursula Schüler-Witte, also keine Spur von der „schönen Sigi“, wie Kressmann-Zach nicht selten im Volksmund tituliert wurde. Hier wird also eine falsche Fährte gelegt.

Der Roman ist auf jeden Fall – darauf wird man sich einigen können – die Geschichte des Kreisels, der hier gerade gebaut wird, der aber nicht besonders originell „Kegel“ genannt wird. Denn er ist ja auch, wie gesagt, kein detailgenaues Sachbuch über den bekannten Bauskandal mit zurückgetretenen Senatoren und will es auch gar nicht sein, sondern beansprucht sein Maß an dichterischer Freiheit. Seit 2007 jedenfalls steht der reale Bau nach den realen Entwürfen einer realen Architektin, die „Männer, Hauser und Geld“ gesammelt haben soll, leer. Aber alles weitere dazu ist dann schon wieder eine andere Geschichte.

Till Raether: Die Architektin, Verlag btb, 416 Seiten, 24 Euro, ISBN: 978-3-442-75927-9

Autor:

Uwe Lemm aus Mahlsdorf

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