Que(e)r lesen und starke Seiten zeigen
Wie die Stadtbibliothek mit rechten Tendenzen und Diskriminierung umgeht

Boryano Rickum vor dem Regal mit den Büchern, die nach der Zerstörung ersetzt wurden. | Foto:  Ulrike Martin
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  • Boryano Rickum vor dem Regal mit den Büchern, die nach der Zerstörung ersetzt wurden.
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In die Bezirkszentralbibliothek in der Götzstraße 8 kommen nicht nur Menschen, die mal schnell ein Buch ausleihen wollen. Hier sitzen Zeitungsleser in einer ruhigen Ecke, an großen Tischen lernen Schülergruppen, es gibt Arbeitsplätze mit Internetzugang und Spielzeug in der Kinderecke. Das Gebäude ist ein Treffpunkt für die unterschiedlichsten Nutzer.

„Wir haben eine gute Aufenthaltsqualität“, sagt Dr. Boryano Rickum, Leiter der Stadtbibliothek Tempelhof-Schöneberg. „Zu uns kommen sogar Schriftsteller, um hier zu schreiben.“ Und wer will, kann sogar auf einem elektrischen Klavier spielen – mit Kopfhörer, um die anderen Besucher nicht zu stören. Und im Sommer geht’s zum Lesen auf die Grünfläche vor der Tür. Es gibt einen Rosengarten fürs Auge und eine kürzlich angelegte Wiese mit Pflanzen für Wildbienen.

Polizei ermittelt weiter

Die Bibliothek präsentiert sich als ein Ort zum Wohlfühlen. Umso unverständlicher: 2021 und 2022 gab es drei Fälle von Vandalismus. Bestimmte Bücher wurden zerstört. Gemeinsam war ihnen, dass sich ihre Autoren kritisch mit rechten Tendenzen auseinandersetzen. Mehr als 20 Bücher wurden zerrissen oder zerschnitten. Darunter waren Titel wie „Verqueres Denken – Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus“ und „Tatworte – denn AfD & und Co. meinen, was sie sagen“ von Michael Kraske. Der oder die Täter sind noch nicht gefunden, die Polizei ermittelt weiterhin.

Wie geht eine Kultureinrichtung mit derartigen Vorfällen um? Offensiv. „Gleich nach den ersten Zerstörungen sind wir aktiv geworden, haben den Vorfall publik gemacht“, berichtet Rickum. Sofort gab es Zeichen großer Solidarität. Privat wurden Bücher gespendet, die Verlage schickten Ersatz. Die Bücher wurden in einer Vitrine zusammengestellt und unter dem Titel „Starke Seiten“ im Foyer gezeigt. Das Projekt „Starke Seiten“, unterstützt vom Bezirksamt und den Bezirksverordneten, beinhaltete auch eine Lesereihe. „Den betroffenen Autoren sollte Raum gegeben werden, ihre Werke vorzustellen und sich mit dem Menschen hier im Kiez auszutauschen“, sagt Boryano Rickum. Unter anderem war die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast zu Gast und las aus ihrem Buch „Hass ist keine Meinung – Was die Wut in unserem Land anrichtet“. Die Reihe lief bis Ende 2022, ergänzt durch die Ausstellung „Starke Wände“. Vier Künstlerinnen und Künstler zeigten mit Gemälden und Videos die Bibliothek als Ort, der allen Menschen offensteht.

Reihe wird fortgesetzt

Das positive Feedback auf die „Starken Seiten“ war so groß, dass die Veranstaltungsreihe bald weiterlaufen soll. Rickum und seine Mitarbeiter arbeiten derzeit an möglichen Themen, die sich mit der aktuellen politischen Lage und den Schattenseiten der Gesellschaft auseinandersetzen. Etwa mit dem Ukraine-Krieg, dem Klimawandel oder fremdenfeindlichen und antisemitischen Tendenzen. Gemeinsam mit prominenten Autoren, aber auch zivilgesellschaftlichen Akteuren soll eine Öffentlichkeit geschaffen, ein fundierter Austausch ermöglicht werden.

In der Theodor-Heuss-Bibliothek in der Hauptstraße 40 in Schöneberg läuft ebenfalls eine Reihe. Im Februar startete „Que(e)r Lesen“, ein neues Format in Kooperation mit dem Querverlag, Deutschlands 1995 gegründetem ersten lesbisch-schwulen Verlag. Am Montag, 9. Mai, steht die Fortsetzung auf dem Programm: Um 19.30 Uhr liest der Autor Kevin Junk aus seinem Werk „Saturns Sommer“. Anmeldung per E-Mail an stabi-anmeldung@ba-ts.berlin.de.

Zu Beginn der Reihe gab es einen weiteren unschönen Vorfall: Die Progress Pride Flag, eine Regenbogenflagge, wurde vom Fahnenmast vor der Bibliothek gerissen und zerstört. „Wir haben natürlich eine neue aufgehängt“, berichtet Rickum. „Diese Aktion hat untermauert, wie wichtig es ist, dass wir Flagge zeigen.“

Autor:

Ulrike Martin aus Neukölln

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