"So eine Art Central Park von Berlin"
Bürgermeister Jörn Oltmann über Lieblingsorte, Mietersorgen und Sparzwänge
Der 58-jährige Jörn Oltmann ist Bürgermeister von Tempelhof-Schöneberg. Vor drei Jahren trat der Grünen-Politiker die Nachfolge von Angelika Schöttler (SPD) an. Berliner-Woche-Reporterin Susanne Schilp hat ihm einige Fragen gestellt.
Worüber haben Sie sich im vergangenen Jahr am meisten geärgert?
Jörn Oltmann: In Berlin stehen Konsolidierungsmaßnahmen an, die uns noch eine ganze Weile begleiten werden. Wir müssen sparen und darauf achten, dass wir unsere Einnahmen in den nächsten Jahren steigern. Mich hat sehr geärgert, wie der Prozess von der Landesebene geführt worden ist. Die Finanzplanung 2023-2027 wurde im September 2023 beschlossen. Der Fahrplan für die Einsparungen war darin schon enthalten, wurde aber nicht umgesetzt. Die Träger, alle diejenigen, die Zuwendungen erhalten, haben sich darauf verlassen, dass die Finanzierung ihrer Projekte weiterläuft. Aber kurz vor Weihnachten 2024 mussten sie dann erleben, dass das infrage gestellt wird. Die große Unsicherheit für die Träger selbst, für die Beschäftigten, aber auch für diejenigen, die auf die Hilfe der Träger angewiesen sind, hätte man sich ersparen können. Das war eine völlig unnötige und auch chaotische Herangehensweise, die sich der Berliner Senat hier geleistet hat.
Und worüber haben Sie sich am meisten gefreut?
Jörn Oltmann: Großartig war das Konzert von Peter Fox an der Sophie-Scholl-Schule im Schöneberger Norden, dort, wo die Menschen in eher einfachen Verhältnissen leben. Es hat einen riesigen Anklang gefunden, und ich habe nur glückliche Gesichter gesehen. Gefreut hat mich auch das Fußballturnier mit C-Jugend-Teams – Mädchen und Jungen – aus allen unseren Partnerstädten. Endlich hatten wir die Gelegenheit, alle 14 Partner nach Tempelhof-Schöneberg einzuladen. 2026 wollen wir dieses tolle Turnier wiederholen. Was mich außerdem schon lange begeistert, ist die Konzertreihe Lebensmelodien. Dort wird jüdische Musik aus den Jahren 1933 bis 1945 gespielt, und die Biografien der Musizierenden mit ihren schrecklichen Schicksalen werden vorgestellt. Ich bin dankbar, dass es diese Form der Erinnerungskultur gibt.
Was wollen Sie persönlich in diesem Jahr unbedingt vorantreiben?
Jörn Oltmann: Viele Menschen treibt die Frage um, ob sie sich ihre Miete leisten können oder ob sie möglicherweise auch mit Kündigungen konfrontiert werden. In Tempelhof-Schöneberg bieten wir neben der Mieter- auch eine Sozialberatung an. Sie bietet Menschen die Gelegenheit, ihre Rechte zu prüfen. Möglicherweise können sie sich mit einem Mieterverein über einen Anwalt zur Wehr setzen. Das hat leider eine sehr große Bedeutung bekommen. Viele Menschen haben Angst davor, dass sie sich ihre eigene Wohnung nicht mehr leisten können. Wir versuchen, Wege aufzuzeigen, wie man einen Wohngeldantrag stellt, wie man vielleicht dafür sorgen kann, dass man nicht obdachlos wird. Dieses Projekt will ich nicht nur fortführen, sondern erweitern. Künftig wollen wir auch ein Angebot für eine kostenlose Arbeitnehmenden-Beratung schaffen, eine Beratung in Sachen Arbeitsrecht.
Ein großes Stadtumbau-Vorhaben kommt nicht voran, die „Neue Mitte Tempelhof“. Glauben Sie, dass sich hier bald etwas tut?
Jörn Oltmann: Ich hoffe sehr, dass sich das Land zu diesem großartigen städtebaulichen Projekt weiterhin bekennt und die gute Zusammenarbeit zwischen den Senatsverwaltungen und dem Bezirk fortgesetzt werden kann. Wir haben bei der „Neuen Mitte Tempelhof“ über viele Jahre schon viel Geld und Arbeitszeit in die Bürgerbeteiligung investiert – unter anderem mit internationalen Werkstattverfahren. Die „Neue Mitte Tempelhof“ ist geprägt von einem neuen Schwimmbad, einem neuen Polizeirevier, 500 Wohneinheiten, einer großen Grünfläche, einer Rathauserweiterung und einem Kulturzentrum mit Bibliothek, Musikschule und Volkshochschule. Wir schaffen neue Qualitäten der Naherholung und des Wohnens. Diese Chance, soziale Infrastruktur neu zu errichten und ein wirkliches identitätsstiftendes Merkmal zu schaffen, darf man nicht verspielen.
Apropos Identität: Vor 24 Jahren fusionierten Schöneberg und Tempelhof. Gibt es Ihres Erachtens inzwischen so etwas wie eine gemeinsame Identität?
Jörn Oltmann: Ich glaube ganz fest, dass Identitäten zuerst lokal gebildet werden, also vor Ort im Kiez. Die Beziehungen von Freundinnen und Freunden, von Bekanntschaften bis zur Familie spielen sich bei vielen Berlinerinnen und Berlinern oft im lokalen Umfeld ab. Und darüber werden auch Identitäten gebildet. Man identifiziert sich mit dem, wo man großgeworden ist, mit dem, was einem tagtäglich im Alltag begegnet. Tempelhof-Schöneberg hat zusammengefunden, ist zusammengewachsen. Ich glaube, dass das mittlerweile auch nicht mehr getrennt werden kann. Wir haben sieben unterschiedliche Ortsteile, die alle ihren eigenen Charakter haben. Dass sie trotzdem zusammengehören, kann man nur mit der Formel erklären, die der Bezirk schon seit über 20 Jahren hochhält: Vielfalt leben und Vielfalt schätzen.
Haben Sie eigentlich einen Lieblingsort im Bezirk Tempelhof-Schöneberg?
Jörn Oltmann: Ich habe mehrere Lieblingsorte, dazu gehören der Rudolph-Wilde-Park und der Volkspark Mariendorf. Ich mag auch kleine Parksituationen wie den Perels- oder den Renée-Sintenis-Platz. Ausgesprochen gut gefällt mir außerdem die Alte Mälzerei in Lichtenrade und natürlich das Tempelhofer Feld. Es bietet die Situation, mitten in der Stadt eine große Fläche zu haben, wo man sich nicht nur sportlich betätigen kann, sondern viele Dinge tun kann, die man an anderen Orten nicht tun kann: sich frei bewegen, Drachen steigen lassen und einfach eine gute Zeit haben. Das ist eine großartige Geschichte, und ich würde mich sehr freuen, wenn das Tempelhofer Feld in seinem Charakter erhalten bleibt. Und wenn vielleicht noch die eine oder andere Nachpflanzung hinzukommt, um mehr Schatten zu spenden, glaube ich, wäre das Tempelhofer Feld der ideale Ort für so eine Art Central Park von Berlin.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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