Die Fahrradstrasse wird endlich eingerichtet
Faktencheck Handjerystrasse
Es wird spannend in Friedenau, denn die lange geplante Fahrradtrasse in der Handjerystrasse soll nun endlich eingerichtet werden. Allerdings gibt es Widerstand gegen das Projekt. Eine Anwohnerinitiative hat sich gegründet, die mit Hilfe von CDU und FDP versuchen, die geplante Ausführung zu verhindern. Wir haben uns deren Forderungen mal genau angesehen und einen Faktencheck gemacht:
Die Anwohnerinitiative hat einen Einwohnerantrag mit 1057 Unterschriften in der Bezirksverordenetenversammlung (BVV) eingereicht.
Unterschriftsberechtigt sind dabei aber nicht nur AnwohnerInnen der Handjerystrasse, sondern ALLE 350.000 Einwohner im Bezirk Tempelhof-Schöneberg. Ein Einwohnerantrag ist eine sehr niedrigschwellige Möglichkeit, sich einzubringen. Es reichen schon 0,3 Prozent aller Einwohner des Bezirks, dann muss die BVV über den Antrag beraten. Zum Vergleich: den Volksentscheid Fahrrad für einen fahrradfreundlichen Stadtumbau haben 3% der Berliner Bevölkerung unterschrieben, allein im Bezirk also 10 Mal so viele Menschen.
Es wird gefordert, AnwohnerInnen in der Handjerystraße solle die Möglichkeit geben werden, Änderungen der Verkehrsführung mitzugestalten, indem das Bezirksamt eine faire Bürgerbeteiligung durchführt.
Nicht jede Frage ist geeignet für eine Bürgerbeteiligung. So auch hier, wo es um allgemeine Normen und technische Regelwerke geht, denen als Leitgedanke die Sicherheit im Straßenverkehr zugrunde liegt und in die viele Aspekte der Verkehrssicherheitstechnik eingegangen sind. Vergleichbar findet ja auch keine Bürgerbeteiligung statt, wenn es um die Breite von Fahrspuren oder um die Aufstellbereiche vor Ampeln geht.
In der Handjerystraße geht es um die Umsetzung von demokratisch abgestimmten Beschlüssen (BVV-Beschluss 2015) und gesetzlichen Vorgaben (Mobilitätsgesetz) unter Berücksichtigung von Normen des Wegebaus.
Auch der Stadtentwicklungsplan Mobilität und Verkehr (StEP MoVe) hat das Ziel, den Anteil des umweltfreundlichen Verkehrs (Fuß- und Radverkehr, Busse und Bahnen) zu Lasten des motorisierten Individualverkehrs zu steigern. Dabei waren neben Vertreter*innen der verschiedenen Verwaltungen und der Wissenschaft auch Mitglieder des Abgeordnetenhauses, sowie verschiedener Verbände/Innungen und Vereine, wie die IHK, der ADAC und ADFC, involviert. Darüber hinaus fanden fachliche Workshops mit weiteren Beteiligten sowie Diskussionen mit Bürgerinnen und Bürgern statt. Es gab also eine breite zivilgesellschaftliche Beteiligung.
Eine weitere Forderung: Änderungen der Verkehrsführung in und um die Handjerystraße sollen die gesamte Verkehrssituation in Friedenau im Sinne eines Gesamtverkehrskonzeptes, das den Interessen aller VerkehrsteilnehmerInnen gerecht wird, berücksichtigen.
Das ist ein klassisches Blockadeargument: bei jedem Radweg, bei jeder Fahrradstraße wird immer ein Gesamtkonzept gefordert, während gleichzeitig die Sicherheit dieser Verkehrsteilnehmer aus dem Blick gerät. Dabei gibt es bereits das Gesamtkonzept: den Radverkehrsplan des Landes Berlin, der dem stetig zunehmenden Radverkehr Rechnung trägt.
Die Planung in der Handjerystraße ist ja auch bereits ein Kompromiss: Obwohl vorrangig für Radverkehr gedacht, ist die Durchfahrt für Anwohnerautos ja weiterhin zugelassen und ein Großteil der Parkplätze bleibt erhalten. Es gibt keine Durchfahrtsbeschränkungen wie Diagonalsperren oder Modalfilter. Für Fußgänger und Mobilitätseingeschränkte wird es Gehwegvorstreckungen und bessere Sichtverhältnisse geben.
Schon 2020 kam bei Zählungen (SHP Ingenieure im Auftrag des Bezirksamtes) heraus, dass in der Handjerystrasse deutlich mehr Radfahrende als Autos unterwegs sind. Zwischen Perelsplatz und Wexstrasse gar mehr als 4x so viel.
Weiter wird gefordert, dass die jetzige Verkehrsgestaltung erhalten oder so ausgebaut werden soll, dass alle VerkehrsteilnehmerInnen noch mehr gegenseitige Rücksicht aufeinander nehmen müssen.
Alles so zu lassen ist angesichts der Klimakrise eine sehr schlechte Idee. Nicht umsonst wird derzeit Verkehrsminister Wissing vom Expertenrat der Bundesregierung aufgefordert, endlich Maßnahmen zur Emissionsverringerung zu ergreifen.
Von Seiten der Anwohnerinitiative fehlt auch hier ein konkreter Vorschlag, was denn genau ausgebaut werden soll. Mehr Sicherheit für alle ist ja gerade das Ziel des geplanten Umbaus. Wir rufen in Erinnerung, wer hier gefährdet ist: Unfallzahlen zeigen deutlich, dass Radverkehr durch Autos bedroht wird.
Der CDU-Kreisvorsitzende Jan-Marco Luczak behauptet: Das Streichen von so vielen Parkplätzen übergeht die berechtigten Interessen von vielen älteren, gehbehinderten und auch berufstätigen Menschen etwa im Schichtdienst, die auf ihr Auto angewiesen sind.
Das ist der Elefant im Raum: Hauptproblem der Autofahrer ist es, dass Parkplätze wegfallen. Dabei gehört die Straße ja nicht den Anwohnern, sondern allen BürgerInnen. Sie ist Teil des Strassennetzes und hat eine stadtweite Funktion. Dabei ist das Sicherheitsbedürfnis von vulnerablen Verkehrsteilnehmern nicht verhandelbar. Der Wunsch, sein privates Fahrzeug auf öffentlichem Boden abzustellen, muss sich dem unterordnen. Andere europäische Städte sind da schon viel weiter als Berlin.
Behinderte können jederzeit einen Pkw-Stellplatz beantragen. Ein Ziel ist aber auch, dass ältere Menschen Alternativen zum Auto haben, ebenso wie Berufstätige.
Es sei auch daran erinnert, dass weniger als die Hälfte der Berliner Haushalte einen Pkw haben; der Anteil der Pkw-Fahrten an allen Wegen hat sich in den vergangenen Jahren deutlich von 33 Prozent auf 26 Prozent verringert. Auf all das gilt es, in der strategischen Verkehrsplanung zu reagieren.
Luczak weiter: “Wenn die Straße plötzlich 4 Meter breit wird, fürchte ich, dass es zu mehr riskanten Überholmanövern und zu Rasereien kommt. Mein Vorschlag: Sicherheitsabstand zum Parkstreifen, um Dooring-Unfällen vorzubeugen, und die Straße ansonsten so lassen.”
Grundsätzlich sind parkende Autos durch die Sichtbehinderung viel gefährlicher für Kinder als “rasende Radfahrer”, die ja nur mit 15-25 km/h unterwegs sind. Eine Kollision mit einem schweren Auto bei 30 km/h bedeutet ein viel höheres Verletzungsrisiko.
Der Vorschlag, lediglich einen Sicherheitsabstand zu parkenden Autos zu markieren, ist Unsinn, denn dann bliebe ja nur ein maximal 1,90 Meter schmaler Fahrstreifen übrig. Viel zu wenig, um sicher zu überholen. Ziel einer Fahrradstraße ist es ja gerade, Radfahrenden sicheres Überholen und auch nebeneinander Fahren zu ermöglichen. Besonders Eltern, die ihre Kinder zur Schule begleiten, wissen das zu schätzen. Letztlich soll Radfahren auch attraktiver gemacht werden, um mehr Menschen davon zu überzeugen.
Übrigens fordert auch die Feuerwehr eine breite Fahrbahn, um im Notfall eine Drehleiter aufzustellen. Und in der anliegenden Prinzregentenstraße ist das ja auch kein Problem.
https://www.rad-ts.de/faktencheck-handjerystrasse/
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