Besser miteinander
Verkehrspolitik braucht Lösungen statt Vorwürfe
Von Jan Rauchfuß, seit 2011 Bezirksverordneter in Tempelhof-Schöneberg. Von 2013 bis 2019 war er SPD-Fraktionsvorsitzender. Aktuell ist er Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses.
Ich gebe zu, ich bin ein komplizierter Verkehrsteilnehmer, denn man kann mich nicht klar verorten. Ich bin weder passionierter Autofahrer noch leidenschaftlicher Radler. Ich versuche, die Wahl des Verkehrsmittels am Zweck meiner Wege zu orientieren, mit dem Ergebnis, dass ich kaum Auto, selten Fahrrad und dafür häufig S-Bahn fahre, am häufigsten gehe ich zu Fuß. Daran muss es liegen, dass ich mir in verkehrspolitischen Debatten weniger Dogmen, weniger gegenseitige Vorwürfe und mehr Lösungen wünsche. Konkret: einen Ausbau des ÖPNV und sichere Radwege.
Es ist wenig überraschend, dass in einer Stadt, die in den vergangenen 10 Jahren um mehr als 300.000 Einwohner*innen gewachsen ist, zwei Themen den politischen Diskurs bestimmen: bezahlbarer Wohnraum und der Straßenverkehr. Letzteres einfach deshalb, weil sich immer mehr Verkehrsteilnehmer*innen eine gleichbleibend große Fläche teilen müssen. Das heißt sachlogisch auch, sollen mehr sichere Radwege entstehen, fallen Autospuren oder Parkplätze weg. Und trotzdem: Wer zur Rushhour an der Potsdamer Straße, am Verkehrsknotenpunkt Lankwitzer Straße/Großbeerenstraße oder am Te-Damm steht, kommt nicht umhin festzustellen, dass die Stadt übermotorisiert ist. Die Lärm- und Feinstaubbelastung ist ungesund hoch, weil zu viele Autos unterwegs sind. Viel zu viel Fläche wird auch in unserem Bezirk für den Autoverkehr und für Parkplätze benötigt.
Nun löst sich dieses Problem nicht durch moralisierende Vorwürfe an Autofahrer*innen, sondern durch den Ausbau guter Alternativen: Mehr und besserer ÖPNV sowie eine sichere Radverkehrsinfrastruktur. Deshalb unterstützen wir als SPD-Fraktion den Radverkehrsversuch auf dem Tempelhofer Damm, achten aber gleichzeitig darauf, dass die Gewerbetreibenden von neuen Lieferzonen profitieren und ohnehin vorhandene – nachts leere – Parkhäuser für Anwohner*innen geöffnet werden können (Drucksache 2044/XX). Deshalb setzen wir uns als SPD-Fraktion für einen zusätzlichen S-Bahnhof Kamenzer Damm (Drucksache 0346/XX) oder eine leistungsfähige Busverbindung zwischen Alt-Mariendorf und Lichtenrade (Drucksache 1048/XX) ein. Mein Änderungsantrag zur Einführung eines 365-Euro-Tickets für BVG und S-Bahn wurde zuletzt in der BVV – auch von den Grünen – abgelehnt, lohnt aber wohl einen baldigen Neuanlauf. Der Gedanke ist stets der Gleiche: Pauschale Fahrverbote polarisieren die Stadtgesellschaft; bessere, schnellere und preisgünstigere Alternativen zum Autoverkehr entlasten die Straßen.
Verbote und deren Durchsetzung braucht es allerdings an einer anderen Stelle: gegen Raserei und illegale Autorennen, gegen heulende Motoren in der Nacht und Eckenparken in Wohnstraßen. Mit meinen Anträgen „Raserei und illegale Autorennen – Täter feststellen und bestrafen“ (Drucksache 0830/XX) und „Raserei und illegale Autorennen: ,Akustik-Blitzer‘ gegen Lärmbelästigung“ (Drucksache 1213/XX) habe ich konkrete Vorschläge unterbreitet. Passiert ist bisher zu wenig. Hier dürfen wir politisch nicht nachlassen, sondern müssen die Unbelehrbaren aus dem Verkehr ziehen.
Die steile These, wonach man in einer Stadt wie Berlin überhaupt und niemals ein Auto brauchen dürfe, kommt vermutlich eher von Mitbürger*innen, die ihren Sperrmüll lieber samt Zettel „Zu Verschenken“ vor die Haustür stellen, statt ihn zur BSR zu bringen. Ich habe nichts gegen Autos. Aber klar ist auch: es müssen weniger werden.
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