Was wir erreicht haben, ist noch nicht genug
Gleichstellungsbeauftragte Brigitte Kowas über langlebige Ungleichheiten
2018 werden zwei große Frauenrecht-Jubiläen begangen: Seit hundert Jahren können Frauen wählen und gewählt werden. Innerhalb der 68er-Bewegung traten Feministinnen vor fünfzig Jahren eine Debatte über Rollenbilder, das Recht auf Abtreibung und Verhütung los. Ein Anlass, die Gleichstellungsbeauftragte von Reinickendorf, Brigitte Kowas, einmal zu fragen: Wie ist die Lage?
Was macht eigentlich eine Gleichstellungsbeauftragte?
Brigitte Kowas: Meine Arbeitsgrundlage ist das Landesgleichstellungsgesetz. Das besagt, dass meine Aufgabe eine Verbindung von der Bevölkerung zur Politik und anders herum ist. Ich kenne die Strukturen im Bezirk und arbeite mit Verbänden und Institutionen zusammen, um Ungerechtigkeiten zwischen Männern und Frauen, die wir erkennen, auszuräumen.
Was bedeutet das konkret? Haben Sie ein Beispiel?
Brigitte Kowas: Seit 2004 gibt es in Berlin eine Strategie für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Ich bin dafür zuständig, etwa im Bezirksamt dafür zu sorgen, dass jede Abteilung für sich dementsprechende Ziele formuliert. Die werden durch die Bezirksverordnetenversammlung abgesegnet und gelten für eine bestimmte Periode – im Sport, in der Jugendarbeit und beim Ausbildungskonzept etwa. Im Gender Budget Wettbewerb des Landes haben wir den ersten Preis dafür gewonnen, wie wir unsere Auszubildenden in Bezug auf Gleichstellung schulen. Auch Haushalte gendergerecht zu untersuchen, gehört zu meinen Aufgaben. Wir schauen uns an: Wie viel Geld fließt in welche Arbeit? In Bibliotheken, Weiterbildungen, Jugendeinrichtungen und erkannte Schieflagen ausgleichen.
Was verändern
mehr Frauen in Gremien?
In der Karlsruher Erklärung, die die Gleichstellungsbeauftragten vor Kurzem bei ihrer Bundeskonferenz unterzeichnet haben, wird bemängelt, dass nur 25 Prozent Frauen in den kommunalen Gremien vertreten sind. Was, denken Sie, würde sich ändern, wenn es dort mehr Frauen gäbe?
Brigitte Kowas: Es gäbe vor allem eine stärkere Vertretung weiblicher Interessen. Von 55 Parlamentariern sind in Reinickendorf nur 18 weiblich. Wenn Frauen nicht stärker beteiligt werden, wird sich auch an den Verhältnissen nicht viel ändern. Bereits in Unternehmen wird zunehmend festgestellt, dass eine geschlechtergerechte Präsenz von Frauen, nicht nur im Umgang, sondern auch bezogen auf den Umsatz gute Ergebnisse erzielen. Es ist also eine Win-win-Situation für alle.
Was hindert Frauen daran, in die Politik zu gehen?
Brigitte Kowas: Wir haben gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die für Frauen schwierig sind, weil sie sich an einem Rollenklischee abarbeiten müssen. Sie müssen eben sagen: Ich will auch parlamentarische Arbeit machen. Wie organisieren wir das? Wer kümmert sich um die Kinder? Kann man nicht bestimmte Sitzungen auch zu einer anderen Zeit machen als immer nur am Abend? Dann hätten Frauen ganz andere Beteiligungsmöglichkeiten.
Sehen Sie in dieser Hinsicht Fortschritte?
Brigitte Kowas: Momentan gibt es leider populistische Bewegungen, die auch klar gegen feministische Ansätze arbeiten. Wir müssen stark gegen ein reaktionäres Frauenbild ankämpfen und Errungenschaften verteidigen. Das, was wir erreicht haben, ist noch nicht genug. In Deutschland haben wir etwa auch eine Lohndifferenz von 21 Prozent zwischen Frauen und Männern. Damit sind wir an vorletzter Stelle in Europa, ein sehr schlechtes Ergebnis, hier ist die Politik gefordert gesetzliche Rahmenbedingungen zu setzen.
Wo die Altersarmut sitzt
Was sind die Folgen dessen, die Sie mitbekommen?
Brigitte Kowas: So eine Lohndifferenz produziert Altersarmut. Wenn Frauen nicht aufpassen, wo sie abgehängt werden in ihrer Berufsbiografie, zum Beispiel wegen der Familie, wenn sie in Minijobs und in Teilzeit arbeiten und sich aufgrund der geringen Einnahmen nicht absichern fürs Alter, geht das ganz schnell. Die Lebensleistung der Frauen, die Erziehung von Kindern oder die Pflege der Angehörigen wird ja nicht bezahlt. Wenn man hier im Rathaus die Gänge entlanggeht, wo Frauen über 65 ergänzende Hilfen oder Grundsicherung beantragen, dann sieht man, wo die Altersarmut sitzt.
Wie steuern Sie dem entgegen?
Brigitte Kowas: Wir schaffen mit Kampagnen ein Bewusstsein für das Problem. Über Altersarmut muss man den Betroffenen nichts erzählen, aber die Gesellschaft muss sich darüber bewusst sein und vor allem junge Frauen und Männer, die Entscheidungen für ihr Leben treffen.
Sie sind jetzt schon seit 2004 Gleichstellungsbeauftragte. Was hat sich seitdem zum Positiven verändert?
Brigitte Kowas: Die Anerkennung der Themen, die Frauen betreffen, ist größer geworden, Altersarmut und Lohndifferenz eben, aber auch Gewalt gegen Frauen ist keine Privatsache mehr. Eine Sache, die mich besonders freut, ist die Workplace Policy, die wir hier im Bezirksamt haben. Sie ist eine interne Vereinbarung darüber, dass Frauen vor Gewalt geschützt werden sollen. Der Arbeitgeber informiert über häusliche Gewalt, sensibilisiert die Angestellten und bietet Opfern Hilfestellungen. Das gibt es nur in ganz wenigen Behörden.
Autor:Josephine Macfoy aus Schöneberg |
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