Geschichten vom Sportplatz
Buch stellt Fußballarenen vor
Das Werk heißt "Fußballheimat Berlin". Es umfasst "100 Orte der Erinnerung". Meist handelt es sich um Sportplätze, in einigen Fällen auch um andere wichtige Stätten der Fußballkultur. Reinickendorf spielt in diesem Buch der Autoren Peter Czoch, Daniel Küchenmeister und Thomas Schneider eine wichtige Rolle.
Nahezu jede zehnte vorgestellte Sportanlage befindet sich hier. Andere Bezirke, beziehungsweise Ortsteile wie Spandau oder Tempelhof bekommen weniger Raum. Warum das so ist, bleibt das Geheimnis der Verfasser. Es sei ihnen um die Vielfalt der Berliner Fußballlandschaft gegangen, schreiben sie im Vorwort. Auch darum, manches Besondere und Geschichtsträchtige herauszuarbeiten. Mit beidem kann Reinickendorf punkten.
Etwa am Beispiel des Wackerplatzes am Wackerweg. Dort war einst die Heimat des einzigen Zweitligisten, den Reinickendorf bisher hatte. Der Verein hieß Wacker 04 und dessen große Zeit war in den 1970er-Jahren. Die insgesamt vier Jahre in der damals noch zweigeteilten zweithöchsten deutschen Fußballklasse waren sportlich eher durchwachsen, erwiesen sich aber vor allem finanziell als nicht lukrativ. Nach dem zweiten Abstieg 1979 ging es etappenweise immer weiter nach unten. 1994 wurde Wacker 04 aufgelöst, die Mitglieder schlossen sich dem Lokalrivalen Alemannia 90 an. Noch fast 20 Jahre formiert dieser Verein als Wacker-Alemannia, beziehungsweise Alemannia 90-Wacker, ehe der Zusatz "Wacker" 2013 verschwand. Geblieben ist der Platz. Der wird zwar heute meist als Sportanlage an der Kienhorststraße bezeichnet. Fußballkenner wissen aber um seine "Wacker-Vergangenheit". An sie wird auch auf Schautafeln im Rahmen der Fußball-Route Berlin am Eingang erinnert.
Der schon erwähnte Verein Alemannia 90 ist nicht weit entfernt auf dem Sportplatz an der Ollenhauerstraße zu Hause. Und wegen Alemannia hat es auch diese "Ollenhauer Ritze" ins Buch geschafft. Für die Autoren waren dafür vor allem drei Gründe ausschlaggebend: Zum einen, weil in den Reihen des Vereins einst einer der bekanntesten Berliner Fußballer aller Zeiten spielte. Nämlich Johannes "Hanne" Sobek (1900-1989), Nationalspieler und mit Hertha BSC 1930 und 1931 Deutscher Fußballmeister. Er war von 1920 bis 1925 Alemanne, auch sein erstes Länderspiel bestritt er noch als Reinickendorfer. Zum zweiten wären da manche sportlichen Erfolge, wenngleich in der weit zurückliegenden Vergangenheit. Als letzter absoluter Höhepunkt gilt der Einzug ins Finale um die Deutsche Amateurmeisterschaft im Jahr 1957. Dort unterlag Alemannia in Hannover dem VfL Benrath mit 2:4. Und schließlich gab es bei dem Verein eine im Berliner Fußball wahrscheinlich einmalige Kontinuität. Über drei Generationen wären seine Geschickte nämlich von Mitgliedern der Familie Kapinsky maßgeblich geprägt worden, schreiben die Autoren. Zunächst durch Erich Kapinsky bis zu seinem Tod 1958 Ehrenvorsitzender. Sohn Willy, gestorben 2009, wurde 1961 Vereinsboss und später ebenfalls Ehrenpräsident. Schließlich Enkel Heiner Kapinsky, langjähriger Kapitän der 1. Mannschaft, er starb 2020.
Ebenso wie Alemannia und einst Wacker 04 gelten auch die Reinickendorfer Füchse als Traditionsverein. Bekannt sind sie heute vor allem durch ihren Handball-Bundesligisten, aber auch im Fußball haben die Füchse Spuren hinterlassen. Sie bespielen übrigens heute auch den ehemaligen Wackerplatz, ihr Stammrevier befindet sich aber am Freiheitsweg. Die Sportstätte rückt in der Fußballheimat vor allem auch deshalb in den Blick, weil sie Ausgangspunkt vieler späterer Profikarrieren wurde. Das gilt zum Beispiel für Andreas "Zecke" Neuendorf, Hertha-Urgestein, aber auch in Leverkusen aktiv. Für Kevin-Prince Boateng, neben Hertha unter anderem bei AC Mailand, Frankfurt, Schalke 04. Zum bekanntesten Ex-Fuchs wurde Thomas "Icke" Häßler, 101-facher Nationalspieler, Weltmeister 1990, Europameister 1996, spielte in Köln, Turin, Rom, Karlsruhe, bei 1860 München. Thomas Häßler ist nach längerer auch krankheitsbedingter Pause inzwischen wieder im Berliner Fußball aktiv. Nämlich als Trainer des Bezirksligisten FC Spandau 06.
Späterer Prominentenstatus eines einstigen Kickers scheint auch sonst für die Verfasser ein Kriterium gewesen zu sein. Auch wenn der Bezug manchmal sehr weit hergeholt wird. Beim SC Tegel spielte in seiner Jugend der Torhüter Richard Golz. Dazwischen war er zeitweise auch bei Wacker 04. 1987 wechselte Golz mit 19 Jahren zum Bundesligisten Hamburger SV, zehn Jahre später zum SC Freiburg. Der SC Tegel fusionierte 2002 mit dem SC Heiligensee zum Nordberliner SC. Dessen Stadion befindet sich wiederum am Elchdamm in Heiligensee. Es ist wohl außerdem wegen seiner Lage ganz im Nordwesten der Stadt im Buch berücksichtigt worden. Ähnlich wie der Poloplatz in Frohnau, der als nördlichster Sportplatz Berlins vorgestellt wird. Polo, erfährt der Unkundige, werde dort aber nicht gespielt.
Die Anlage an der Schluchseestraße fand Eingang als eine Pionierstätte des Frauenfußballs. 1969 gründete Marion Wusterhausen die Frauenabteilung des 1. FC Lübars, ein Jahr bevor der DFB Spielerinnen auch offiziell zuließ. Das Team war lange in der 2. Bundesliga, wurde dort 2015 sogar Meister, zog sich aber ein Jahr später komplett vom Spielbetrieb zurück. Der Platz an der Seebadstraße wurde nicht zuletzt als Hommage an den VfB Hermsdorf aufgenommen, der in diesem Jahr seinen 125. Geburtstag feiern kann. Und das Stadion Wittenau an der Göschenstraße dient schließlich als Exempel einer sanierungsbedürftigen Sportstätte im "Dornröschenschlaf", einschließlich Resten alter Fußballromantik.
Zusammengenommen ergibt das eine bunte Sammlung von Geschichte und Geschichten über Reinickendorfer Sportanlagen. Und daran wird deutlich, warum der Bezirk als eine Hochburg der "Fußballheimat Berlin" gilt.
Das Buch "Fußballheimat Berlin. 100 Orte der Erinnerung. Ein Stadtreiseführer" (ISBN: 978-3-96423-115-4) ist im Arete Verlag erschienen und kostet 20 Euro.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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