„Bau-Verhinderungs-Geschichten“ - Teil 1: Die Westkreuzbrache
Die Westkreuzbrache – ein 30.000 qm großes Gelände im Besitz der Deutschen Bahn rückte erstmals 2016 in den Fokus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und der kommunalen, politischen Akteure, als Investor Christian Gérome, Geschäftsführer der Allgemeinen Immobilienbörse, öffentlich Interesse am Standort bekundet, um dort Wohnungen zu errichten. Sowohl die Senatsverwaltung, als auch die rot-rot-grüne Mehrheit in der Charlottenburger BVV streben zu diesem Zeitpunkt an, das Gelände als öffentliche Parkanlage zu nutzen. Die Bahn selbst wollte lieber an einen Investor, als an den Bezirk verkaufen, hielt sich jedoch bedeckt und keine konkreten Pläne veröffentlichen.
Die Projektplanung des Investors Gérome sah zu diesem Zeitpunkt eine Bebauung mit 900 Wohnungen, davon 220 Sozialbauwohnungen vor, die 6000 qm der Gesamtfläche in Anspruch genommen hätten. Der Rest des Areals solle eine Parkanlage werden. Aber nicht nur die kommunale Regierung, sondern auch der damalige Bezirksbaustadtrat Marc Schulte (SPD) sprach sich wegen des Bahnlärms gegen den Wohnungsbau aus, obwohl der Investor ein schlüssiges Lärmschutzkonzept präsentieren konnte. Überraschenderweise hält der Senat eine Teilbebauung der Westkreuzbrache dann doch plötzlich für möglich und kündigte eine Prüfung für eine Wohnbebauung an.
Im Jahr 2017 kommt es zu zahlreichen öffentlichen Diskussionen über die zukünftige Nutzung der Brache. Vom Bezirksamt initiierte Workshops mit Anwohnern und Kleingärtnern führen jedoch zu keinen klaren Ergebnissen. Der Großteil der Anwohner befürchtete eine massive Nachverdichtung, die Kleingärtner hatten Angst vor Verschattung und um ihre Parzellen. Die Sinnhaftigkeit einer Umwandlung des Areals in eine Parkanlage wird von diversen Seiten kritisch hinterfragt. Die Charlottenburger FDP-Fraktion, die Bahn selbst und interessierte Investoren plädieren weiterhin für eine Wohnbebauung der Westkreuzbrache, während Naturschutzverbände sich den Erhalt der unbebauten Brache wünschen.
Im darauffolgenden Jahr werden die Befürchtungen der Kleingärtner immer größer, ihre Grundstücke zu verlieren. Die Debatte „Wohnungsbau statt Schrebergärten“ gewinnt an Fahrt und wird medial von verschiedenen Interessengruppen ausgeschlachtet, obwohl ein Abriss der Kleingärten nie geplant war, da diese sich nicht im Planungsbereich der Investoren befanden. Im Frühsommer versuchte die FDP-Fraktion durch eine Unterschriftenaktion für den Bau von Studentenwohnungen auf dem Areal zu werben, während der Arbeitskreis WestkreuzGärten Stimmen für den Bau einer Parkanlage und dem vollständigen Erhalt der Kleingärten sammelt, die bis auf die eventuelle Umsiedlung von ein oder zwei Parzellen, nie gefährdet waren.
In dieses Chaos bricht 2018 überraschend die Nachricht ein, dass Uwe Glien, Geschäftsführer der Räusch Entwicklungsgesellschaft mbH, das begehrte Areal von der Deutschen Bahn AG erworben hat, der Kaufvertrag aber noch unwirksam sei bis der Finanzvorstand der Bahn AG zustimme.
Welche Pläne der Investor mit der Fläche verfolgt, wird nicht kommuniziert, lediglich der Kaufpreis wird schon in der Presse veröffentlicht: 6,5 Millionen Euro. Der zuständige Bezirksstadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne) sucht daraufhin das Gespräch mit Uwe Glien, um sich über dessen Vorhaben auf der Westkreuzbrache zu informieren. Dieser hüllte sich jedoch in Schweigen.
Seit Anfang 2019 mehren sich die Stimmen, das Investor Uwe Glien eine Wohnbebauung plant, obwohl der Bezirk offiziell keine Baugenehmigung erteilt hat. Unklar ist, ob Glien sich auf den alten Flächennutzungsplan berufen kann, der die Brache als M1-Mischgebiet und somit neben Schrebergärten und Gewerbe auch als bebaubar für Wohnungen ausweist. Da sich der Bezirk allerdings von einer Wohnungsbebauung nicht überzeugt zeigt und weiter an seinem Parkmodell festhält, schwebt das Berliner Vorkaufsrecht (Recht des Bezirkes ein Grundstück zu erwerben, bevor es einem Investor zum Kauf angeboten werden kann) wie ein Damoklesschwert über dem Vorhaben. Es bleibt zu klären, ob der Bezirk in diesem Falle überhaupt dieses Recht geltend machen kann, da nur bei bereits entwidmeten Bahnflächen ein Vorkaufsrecht des Landes Berlin besteht. Da bei Bahngrundstücken eine bundespolitische Relevanz besteht, stellte die Grüne Bundestagsabgeordnete Lisa Paus hierzu im März eine entsprechende Anfrage. Das Bundesverkehrsministerium erklärt daraufhin, dass der Bund keinen „unmittelbaren Einfluss auf Einzelentscheidungen des DB AG-Vorstands im operativen Bereich“ habe. Die Bahn selbst reagiert ebenfalls auf die Anfrage und erklärt, dass sowohl Bezirk als auch Senat über die Verkaufsabsichten informiert gewesen seien, aber kein Kaufangebot unterbreitet hätten. Dennoch hat das Abgeordnetenhaus am 28.Mai.2019 den Flächennutzungsplan (Bauleitplan) umgeschrieben, obwohl sich die Fläche noch nicht in staatlichem Besitz befindet.
Ebenso im Mai 2019 teilte Oliver Schrouffenenegger mit, dass der Bezirk fristgerecht von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht hat und den Bodenrichtwert für Grünflächen, in diesem Fall eine Summe von ca. 1,5 Millionen EUR für die Brachfläche bietet. Gegen das Vorkaufsrecht reichen DB Netz und der Investor Klage ein. Baustadtrat Schrouffenenegger ist zu diesem Zeitpunkt überzeugt davon, dass es für das Areal am Westkreuz keine Baugenehmigung geben werde. Der geplante Park werde, wenn er überhaupt realisiert werden sollte, eine naturnahe Grünanlage werden, die erst nach und nach in den kommenden 20 Jahren entwickelt werden wird. Die Gerichte klären momentan, wer die Differenzsumme an den Eigentümer und Investor zahlen muss und wie hoch diese ausfallen wird, wenn die Fläche an den Bezirk zurückgehen sollte.
Bis zur endgültigen Klärung, wird die umkämpfte Brache also auch weiterhin ungenutzt, während sich alle Interessengruppen in endlosen Diskussionen über Sinn und Unsinn einer Wohnbebauung ergehen und Berlin wieder einmal beweist, was es am besten kann: Stillstand!
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