Die Orgel der Auenkirche vor dem Neuanfang

Kantor Winfried Kleindopf am Orgeltisch (sichtbar sind die vier Manuale und beidseitig davon die Schalter für die Register)
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  • Kantor Winfried Kleindopf am Orgeltisch (sichtbar sind die vier Manuale und beidseitig davon die Schalter für die Register)
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Jede einzelne Pfeife einer Orgel ist ein sehr beschränktes Musikinstrument, denn sie hat nur eine einzige Tonhöhe, Klangfarbe und Lautstärke. Aber eine Orgel als ganzes ist ein höchst umfassendes Musikinstrument und kann nahezu ein ganzes Orchester vertreten. Dazu müssen die Pfeifen klanglich gut aufeinander abgestimmt sein und eine einwandfreie Mechanik haben. Beides soll in Zukunft auch wieder für die Auenorgel gelten.

Als Winfried Kleindopf 2014 Kantor der Auenkirche wurde, war er vom Klang der Orgel ein wenig enttäuscht: „Diese Orgel stammt aus dem Jahr 1898, also aus der Zeit der Spätromantik im Orgelbau, und hätte daher einen weichen, verschmelzenden Klang haben sollen. Davon war aber nur wenig übrig, ihr Klang war stattdessen hart und nüchtern. Auch Laien können den Unterschied hören, wenn man sie durch Klangvergleiche darauf hinweist.“

Wie kam es zu diesem Wandel im Klang?
Die ursprüngliche Orgel hatte etwa 3000 Pfeifen, zwei Manualen und 41 Register* und war vom Ehepaar Blisse gestiftet worden. „Sie wurde öfters umgebaut, erstmals 1921, als sie auf drei Manuale und 62 Register erweitert wurde. Damals, zum Ende der Spätromantik im Orgelbau, hielt man noch weitgehend am ursprünglichen Stil fest. Eventuell war dieser Ausbau sogar von Anfang an geplant, weil 1898 dazu noch die Mittel fehlten.“
In den 20er Jahren entstand ein neuer Musikstil, woran auch Igor Strawinsky mit seinen schockierend atonalen Ballettmusiken beteiligt war. Aber auch an Barockmusik orientierte er sich. Unter diesem Einfluß begann die ‚Orgelbewegung‘ mit ihrer starken Anknüpfung an barocke Musik. Sie erreichte in den 60er und 70er Jahren ihren Höhepunkt. „Besonders in Deutschland schwenkte man ins Extrem um. Romantische Musik und Orgeln waren jetzt verpönt. Das Ideal waren nun barocke Musik und Orgel, so wie man sich das vorstellte. Man nannte es ‚Neubarock‘. Der grundlegende Unterschied zwischen beiden Stilen ist, daß es bei der barocken Orgel um Klarheit und Durchsichtigkeit der Musik geht, mit der romantischen Orgel soll hingegen orchestrale Klangfülle geschaffen werden.“ Außerdem kannte barocke Orgelmusik nur wenige Abstufungen der Lautstärke, romantische Musik hingegen unzählige.

‚Romantisch' versus ‚neubarock'
Als vor allem 1961 die Auenorgel durch ein viertes Manual auf 78 Register erweitert und zur zweitgrößten Orgel Berlins wurde, ging das folglich einher mit erheblichen Veränderungen im Klang. Dazu wurden einige ‚romantische‘ Register entfernt und ein ‚neubarockes‘ Werk, also eine größere Anzahl neuer Pfeifen, eingefügt. „Dadurch wurde die Orgel klanglich inhomogen, die Veränderungen führten teilweise zu greller Schärfe, die nicht mit dem weichen, runden, warmen Klang der restlichen Orgel harmonieren.“

Verlangt ein anderer Klang andere Pfeifen?
„Dazu braucht man nicht neue Pfeifen, sondern es geht um Veränderungen im Zehntelmillimeterbereich an den vorhandenen. Wenn beispielsweise das Fußloch der Pfeife, durch das die Luft eintritt, ein bißchen aufgebohrt wird, wird ihr Klang härter, kratziger. Ebenso, wenn die Ritze, aus der die Luft wieder austritt, etwas nach oben ausgeweitet wird. Dies rückgängig zu machen, bedeutet sehr kleinteilige Arbeit. Bei den Pfeifen unter zehn Zentimeter ist allerdings nur ein Austausch sinnvoll.“

Wie sieht es ansonsten mit der über 120 Jahre alten Orgel aus?
„Die Orgel hat einen riesigen Wartungsrückstand. Auch später, in den 80er und 90er Jahren, zielten Arbeiten an ihr eher auf Erweiterung – jetzt 85 Register und fast 6000 Pfeifen – als auf Substanzerhalt. Der Verschleiß ist gewaltig: Die Windversorgung ist undicht, es gibt ein Grundrauschen, Ventile öffnen nicht, so daß der Ton ausbleibt, oder schließen nicht wieder, so daß der Ton hängenbleibt. Die Orgel funktioniert nur noch zu einem Drittel wirklich. All dies kommt zu den Klangproblemen hinzu.“

Was soll zu ihrem Erhalt getan werden?
„Im Zweiten Weltkrieg wurden viele romantische Orgeln zerstört, später dann weitere aufgrund des gewandelten Musikgeschmacks. Daher liegt der Gemeinde sehr am Erhalt ihres Instruments. Eine Notreparatur würde nicht reichen, darüber war man sich rasch klar. Ebenso darüber, daß nur bei einer grundlegenden Restaurierung auf Fördergelder zu hoffen war.“
Aber es gibt noch ein anderes Problem: Wiederherstellung durch wen? „Mit dem ‚orgelbewegten‘ Sturm auf romantische Orgeln und deren Verdammung fehlte vielen Orgelbauern die Erfahrung und hatten sie deren Klang vergessen. Erst in den 90er Jahren begann man, Originalinstrumente wieder zum Leben zu erwecken. Das heißt hier: Neben der technischen Grundsanierung müssen der musikalische Umbau von 1961 teilweise zurückgenommen und verlorengegangene Register rekonstruiert werden, außerdem sollen sieben weitere Stimmen hinzukommen. Dabei soll möglichst viel alte Substanz erhalten bleiben. Noch etwa 1500 Pfeifen stammen von 1898.“

Wie läuft die Restauration im einzelnen ab?
Ende Februar 2022 wird die gesamte Orgel hinter dem Prospekt in die Werkstatt von Rieger-Orgelbau in Vorarlberg (Österreich) gebracht. Januar 2023 erfolgen Rücktransport und Wiederaufbau samt neuem Spieltisch. Bis Herbst 2023 soll die Intonation nach historischen Vorbildern abgeschlossen sein, und für den Reformationstag ist die Wiederinbetriebnahme bei einem Festgottesdienst vorgesehen.
Warum nicht alles vor Ort? „Das wäre umständlicher und teurer: Eine Vielzahl von Arbeitern müßte monatelang hier untergebracht und versorgt werden. Der Kirchenraum würde zur provisorischen Werkstatt. Alles möglicherweise benötigte Werkzeug und Material müßte aus Vorarlberg hierher gebracht werden.“

Und die Kosten?
Die Gesamtkosten betragen 1,4 Millionen €. Zu deren Deckung gibt es öffentliche Zuwendungen aus Bundesmitteln, von der Lotto-Stiftung Berlin, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und dem Landesdenkmalamt, insgesamt 959.000 €. Die Gemeinde trägt 140.000 € bei. Für den fehlenden Restbetrag von etwa 300.000 € sucht die Gemeinde Spender und bietet dafür ‚Pfeifenpatenschaften‘ an. Dazu wurde eine Website eingerichtet, die über Geschichte der Orgel und Planung berichtet und auf der zwischen fast 6000 Pfeifen von 1 cm bis 5,50 m gewählt werden kann.

Dies ist die leicht gekürzte Fassung des ursprünglichen Berichts im Heft Dezember 2021/Januar 2022 von KiezWilmersdorf.
_____________________________________
* Ein Register ist eine über den gesamten Tonumfang (4 ½ Oktaven) reichende Reihe von Pfeifen, alle mit derselben Klangfarbe und Lautstärke.

Autor:

Michael Roeder aus Wilmersdorf

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