Flaneurin mit Leidenschaft
Getraud Pohl ist so besonders wie ihre Fotos
Gertraud Pohl ist nach eigenen Angaben "alterslos" und eine "Flaneurin aus Leidenschaft". Wenn sie durch Berlin streift, macht sie Fotos von allem Schönen, was sie entdeckt. Irgendwann hat sie begonnen, Puppen in ihren Bildern zu platzieren. Die Ergebnisse haben ihren Freundeskreis so beeindruckt, dass sie einen Bildband hat anfertigen lassen.
Von dem hätte unter Umständen niemand erfahren. Denn vielleicht hätte sie sich nicht bei der Berliner Woche als Protagonistin des Kiez-Kompasses beworben, wäre ihr nicht ein Malheur passiert: An einer Bushaltestelle am Theodor-Heuss-Platz hatte sie ihre Tasche stehen lassen. Schnell eilte sie von der nächsten Station aus zurück, doch ihre Sachen waren bereits weg. "Sehr ärgerlich", sagt sie. "Um die Kamera ging es mir gar nicht, sondern um eine meiner Puppen. Es wäre schon schön, wenn ich sie wieder bekäme. Weil sie ein Geschenk einer Freundin war und etwas ganz Besonderes hat."
Kamera, Puppe, Fotomotiv
Der Weg zum Fotoalbum hatte mit einem anderen Modell begonnen. Wieder einmal mit der Kamera beim Flanieren unterwegs, hatte sie eine kleine kaputte Puppe in der Tasche. "Ich wollte sie zum Reparieren bringen. Dann habe ich sie zum Spaß in Szene gesetzt. Ich fand das witzig und die Bilder sind absolut schräg geworden." Der früheren Modeeinkäuferin aus Halensee gefielen ihre Bilder sowieso, weil sie es gerne hat, "wenn Dinge ein Gesicht haben". Aber auch alle anderen Leute, denen sie ihre Bilder gezeigt hat, waren begeistert. "Viele haben gesagt, dass ich sie unbedingt veröffentlichen müsse."
Durchgestylt ist langweilig
Auf den Flohmärkten der Stadt war Gertaud Pohl dann nach weiteren Gesichtern für ihre Bilder auf der Suche. Sie durften durchaus einen Makel haben. "Heutzutage ist der Perfektionismus so heiliggesprochen, alles muss so durchgestylt sein. Das ist langweilig. Was die Menschen interessant macht, sind doch ihre Macken. Puppen, die nicht ganz in Ordnung sind, haben für mich mehr Aussagekraft." Wenn sie aus dem Haus geht, greift sie immer ins Regal und nimmt eines ihrer Models mit. "Die Puppe bestimmt eigentlich die Art der Fotos." Manchmal sucht sie auch eine bestimmte aus. "Wenn ich im Britzer Garten Tulpen fotografieren möchte, gucke ich, welche von ihnen dazu passt." Sie setzt ihre Darsteller auf die Stoßstange eines US-Muscle Cars, lässt sie Statuen Gesellschaft leisten oder platziert sie neben einem schlafenden Hund. Ein Kontrast zum Hauptmotiv entsteht, der zum längeren Betrachten und zum Nachdenken bewegt.
Zweiter Bildband in Arbeit
Ein Bildband ist bereits fertig, ein zweites Album in der Mache. Mit Klamotten. Bis vor Kurzem arbeitete Gertraud Pohl im Berliner Stadtmuseum. "Dort mussten wir alle immer schwarze Sakkos tragen. In Pohl kam ihre Affinität zur Mode durch, sie hat ihre Arbeitskleidung mit den lustigsten Bildern ihrer Puppenserie bedrucken lassen, sehr zur Freude der Museumsbesucher und auch der Chefs. Die Kleidung hat sie dann wiederum wie ihre Puppen mit sich geschleppt, in der Landschaft, an Bäumen oder Zäunen drapiert und abgelichtet. Mittlerweile quillt ihr Kleiderschrank vor Stücken mit den unterschiedlichsten Motiven über. "Die will ich auch mal verkaufen, aber das eilt nicht."
Eine echte Lebenskünstlerin
Gertraud Pohl ist auch eine Lebenskünstlerin. Das eigene Alter hat für sie keine Bedeutung. "Je nachdem, was man für ein Leben geführt hat, ist man mit 80 noch jung oder mit 20 schon alt." Mehr als 25 Mal ist sie umgezogen, wollte die großen deutschen Städte und die Welt sehen. Wenn ihr langweilig wurde, ihre Beziehungen endeten oder ein anderes Jobangebot kam, hat sie wieder die Koffer gepackt. In Berlin fühlt sie sich noch immer wohl, neun Jahre lebt sie schon hier. Eigentlich hatte sie sich ihre Zeit hier anders vorgestellt. Wollte mit ihrem "WG-Partner" am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. "Aber der sitzt nur zuhause vor dem PC", sagt sie. Also ist sie eben Flaneurin aus Leidenschaft geworden, zum Glück für Freunde schöner, außergewöhnlicher und spannender Fotos.
Wo ist die Puppe vom Theo?
Im Schilde führt sie bereits das nächste Projekt, diesmal soll es etwas mit Astrologie werden. Es macht Spaß sich mit ihr zu unterhalten, sie ist tiefgründig wie ihr Geschmack bei Speiseeis besonders: "Schwarze Schokolade mit Chili und Orange. Das müssen sie unbedingt probieren." Den Traum von einem "gepflegten Landsitz mit gut geschultem Personal" habe sie noch nicht begraben, sagt sie und lacht wieder. Und es wäre nicht schlecht, wenn ihre am Theodor-Heuss-Platz verlorengegangene Puppe wieder auftauchen würde. Durch die Platzierung der Puppen erzeugt Gertraud Pohl in ihren Bildern Kontraste.
Autor:Matthias Vogel aus Charlottenburg |
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