R.I.D.
Die Einwohnerfrage ist tot

Screenshot von der Website des BA Charlottenburg-Wilmersdorf vom 26.1.2022
  • Screenshot von der Website des BA Charlottenburg-Wilmersdorf vom 26.1.2022
  • hochgeladen von Michael Roeder

Es hat keinen Sinn, drum rumzureden: Die Einwohnerfrage ist tatsächlich tot; totgemacht.
Ein letzter Versuch, dies abzuwenden, fand am 20. Januar 2022 in der Einwohnerfragestunde der BVV statt (3. Einwohnerfrage), denn seit Dezember 2021 gibt es eine neue Bezirksbürgermeisterin (Grüne Partei) und einen neuen BVV-Vorsteher (SPD); auch neue Hoffnung?
Beide knüpften nahtlos an ihre Vorgänger (jeweils SPD) an: Der Versuch scheiterte, die Einwohnerfrage ist ohne Wenn und Aber tot.

Zu Lebzeiten

Zu ihrer Lebzeit wurde die Einwohnerfrage von den Bürgern genutzt, um Sachverhalte aus dem Dunkel der Verwaltung ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Für weitere interessierte Bürger standen auf der Website des Bezirksamtes (BA) Fragen und Antworten nebeneinander (hier Beispiel vom Februar 2020), jeder konnte dort jederzeit nachlesen, daraus zitieren, Schlüsse ziehen und sich gegebenenfalls beteiligen. Die schriftliche Form (in Ergänzung zur eventuellen mündlichen Antwort in der Sitzung) diente somit der Transparenz und war ein Mittel der Bürgerbeteiligung, hatte also rundum einen demokratischen Charakter. Dies schloß ein, daß das BA Stellung nehmen mußte, und zwar in der Öffentlichkeit (im Gegensatz zu einer privaten Anfrage bei einem BA-Mitglied, die dieses vielleicht beantwortet, jedenfalls aber unter Ausschluß der Öffentlichkeit). (1)

Danach

Im Januar 2020 begann der schleichende Tod der Einwohnerfrage mit einer Stellungnahme des Bezirksamtes (SPD, Grüne Partei, CDU), wonach die Einwohnerfragestunde der „unmittelbaren Begegnung zwischen Bürgerschaft und Kommunalpolitik“ diene (siehe hier) und daher nur mündlich zu sein habe. Am Gesetzestext (2) hatte sich zwar nichts geändert – und bezeichnenderweise forderte bis dahin das BVV-Büro Fragesteller sogar auf, mitzuteilen, ob ihnen eine schriftliche Antwort genüge –, aber offenbar viel am Willen der Verwaltung und folglich an deren veränderter Gesetzesauslegung. Sofort leisteten alle Fraktionen Widerstand, aber im heißen Sommer 2020 schmolz dieser dahin, so daß ab August die neue Regelung galt: nur noch mündliche Antworten bzw. bei Abwesenheit überhaupt keine. Auf der Seite des BA sieht es seitdem so aus: Beispiel August 2020. So war nunmehr die demokratische Funktion der Einwohnerfrage, die eng mit der Schriftform verbunden ist, wie oben gezeigt, per Neuauslegung beseitigt, aber dafür kann seitdem die „unmittelbare Begegnung zwischen Bürgerschaft und Kommunalpolitik“ zur vollen Wirkung gelangen.
Wie sieht diese Begegnung eigentlich in der Praxis aus?

„Unmittelbare Begegnung zwischen Bürgerschaft und Kommunalpolitik“

Diese Frage wurde dankenswerterweise am 20.1.2022 im Zusammenwirken von Bürgermeisterin und Vorsteher beantwortet (3) (Hervorh. d. Verf.):

BzBmin K. Bauch: „Mit der Einwohnerfragestunde sollen die Einwohner unmittelbar in den politischen Erörterungsprozeß einbezogen werden. Durch eine schriftliche Beantwortung von Einwohnerfragen wird diese Art des Diskurses nicht erreicht. … Es geht primär um den Diskurs, um den Austausch, den wir mit den anwesenden Personen haben. … Einwohnerfragen sind ganz klar der verbale Austausch mit den Anwesenden in der Bezirksverordnetenversammlung.“

BVV-Vorsteher W. Tillinger (zum Fragesteller): „Bitte nur eine Nachfrage, kein Dialog!“

Wenn Sie jetzt stutzen sollten – dann haben Sie vielleicht Stoff für eine Einwohnerfrage und könnten sich auf diese Weise als Bürger am Diskurs beteiligen.
Apropos „Bürgerbeteiligung“:

Waren Einwohnerfragen überhaupt Teil der Bürgerbeteiligung?

Zwar stehen sie auf der BA-Seite zum Stichwort „Bürgerbeteiligung“ an erster Stelle – siehe Screenshot –, aber offenbar gibt es auch hier eine der Öffentlichkeit bisher unbekannte Neuinterpretation der Verwaltung, wie man aus der folgenden Anmerkung, die im Namen des BA abgegeben wurde, schließen muß (30:57):

BzBmin K. Bauch: „… weil wir ganz klar zwischen der Einwohnerfrage trennen und der Bürgerbeteiligung.“

____________________________________
(1) Siehe auch hier.
(2) Die neue Auslegung wurde diesem Gesetzestext abgerungen:
§ 43 Bezirksverwaltungsgesetz (in der Fassung bis November 2021): „In jeder ordentlichen Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung soll eine Einwohnerfragestunde eingerichtet werden. Das Bezirksamt ist verpflichtet, in der Einwohnerfragestunde Stellung zu nehmen. Die Einwohnerfragestunde ist Bestandteil der öffentlichen Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung. Das Nähere regelt die Geschäftsordnung.“
Auch in der Neufassung, seit 4.11.2021 in Kraft, ist von ‚nur mündlich‘ keine Rede; dem bisherigen Text wurde insofern lediglich dieser Satz hinzugefügt: „Eine Pflicht zur Beantwortung von Einwohnerfragen besteht jedoch nicht, wenn die Fragestellenden in der Sitzung ohne wichtigen Grund abwesend sind.“
(3) Auszug aus der eigenen Transkription der Sitzung vom Video; Beginn der Behandlung der 3. Frage bei 25:56, BzBmin ab 26:39, BVV-Vorsitzender ab 31:04.

Autor:

Michael Roeder aus Wilmersdorf

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

16 folgen diesem Profil

3 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

Gesundheit und MedizinAnzeige
 Ist Ihr Herz gesund? Informieren Sie sich am 20. November über Herzschwäche und wie man sie erkennt und behandelt. | Foto: Caritas-Klinik Maria Heimsuchung

Infos über Herzinsuffizienz
Vortrag: „Herzschwäche erkennen und behandeln“

Die Caritas-Klinik Maria Heimsuchung lädt Sie herzlich zu einem informativen Vortrag am 20. November 2024 von 17 bis 18 Uhr ein. Unter dem Titel „Stärke dein Herz – Herzschwäche erkennen und behandeln“ erfahren Sie Wissenswertes über die frühzeitige Erkennung und moderne Behandlungsmöglichkeiten der Herzinsuffizienz. Dr. med. Philipp Krauser, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie sowie Oberarzt im Caritas Kardiozentrum Berlin, wird in dem Patienteninformationsabend auf die typischen...

  • Pankow
  • 30.10.24
  • 403× gelesen
WirtschaftAnzeige
Tätowierungen sind eine Kunst mit jahrtausendealter Geschichte, die über Jahrhunderte hinweg die Körper der Menschen schmückte. Doch der Beruf des Tätowierers ist nicht nur kreative Arbeit. Es ist ein anspruchsvolles und faszinierendes Handwerk. | Foto: VEAN TATTOO
3 Bilder

VEAN TATTOO
Tätowierer: einer der gefragtesten Berufe unserer Zeit

Tätowierungen sind eine Kunst mit jahrtausendealter Geschichte, die über Jahrhunderte hinweg die Körper der Menschen schmückte. Doch der Beruf des Tätowierers ist nicht nur kreative Arbeit. Es ist ein anspruchsvolles und faszinierendes Handwerk, das nicht nur künstlerische Fähigkeiten, sondern auch ein tiefes Verständnis des gesamten Prozesses erfordert. In diesem Artikel wird VEAN TATTOO Ihnen die Welt der Tätowierkunst näherbringen und erläutern, warum der Beruf des Tätowierers heute zu den...

  • Mitte
  • 28.10.24
  • 524× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Leiden Sie unter anhaltenden Knie- oder Hüftschmerzen? Erfahren Sie, wie Sie mit modernsten Methoden Ihre Mobilität zurückgewinnen. | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Infoabend am 12. November
Leben ohne Knie- und Hüftschmerzen

Leiden Sie unter anhaltenden Knie- oder Hüftschmerzen, die jeden Schritt zur Qual machen oder Ihnen sogar in Ruhe keine Erholung gönnen? Es muss nicht so bleiben! Besuchen Sie unseren Infoabend "Leben ohne Knie- und Hüftschmerzen: Schonende & komfortable OP-Methode!" und erfahren Sie, wie Sie mit modernsten Methoden Ihre Mobilität zurückgewinnen – schonend, effektiv und ohne Angst vor einem Eingriff. Expertenwissen kommt beim Infoabend am 12. November aus erster Hand: Tariq Qodceiah, Chefarzt...

  • Reinickendorf
  • 01.11.24
  • 255× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für rund 105.000 Haushalte im Bezirk Lichtenberg baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom
2 Bilder

Telekom macht's möglich
Schnelles Glasfasernetz für Lichtenberg

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes im Bezirk Lichtenberg auf Hochtouren. Damit können rund 105.000 Haushalte und Unternehmen in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Karlshorst, Lichtenberg und Rummelsburg einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Schnell sein lohnt sich Wer jetzt einen Glasfaser-Tarif bei der Telekom beauftragt, gehört...

  • Bezirk Lichtenberg
  • 30.10.24
  • 384× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.