Vorschau auf Gedenktafelkommission, Sitzung am 26. November
Hat denn niemand das Zwangsarbeiterlager in der Wilhelmsaue 40 betrieben?
Ergänzung: mit einem Vorschlag für einen Schlußsatz der Gedenktafel
Am 10. März dieses Jahres im Kulturausschuß – fünf Jahre nach Kenntnisnahme – erkannte das Bezirksamt, vertreten durch die Kulturstadträtin, an, daß sich in der Wilhelmsaue 40 das Zwangsarbeiterlager des Bezirksamtes Wilmersdorf befunden hat. Die Stadträtin legte das Telefonverzeichnis des Bezirksamtes Wilmersdorf von 1944 vor (Abb. 1), in dem das „Ausländerlager Wilhelmsaue 39/40“ aufgeführt ist. Dieser Fund habe sie nun überzeugt, daß das Lager in der Wilhelmsaue
definitiv vom Bezirksamt betrieben wurde,
wie sie wörtlich sagte.
Außerdem beschloß der Kulturausschuß in jener Sitzung einstimmig die Drucksache 1438/5; am 23.4.erteilte, ebenfalls einstimmig, die BVV ihre Zustimmung. Zur Wilhelmsaue 40 heißt es dort:
Die Gedenktafel in der Wilhelmsaue 40 soll an das ehem. Zwangsarbeiterlager des Bezirksamtes Wilmersdorf an diesem Ort erinnern und seine Geschichte 1939-1945 aufzeigen.
Textentwurf der Leiterin des Bezirksmuseums
Seit dem März sind acht Monate vergangen. Am 26. November um 17 Uhr will die Gedenktafelkommission per Zoom-Meeting* den Text der Gedenktafel festlegen. Es gibt zwei Vorschläge. Der Entwurf der Leiterin des Bezirksmuseums beginnt** so:
An dieser Stelle befand sich im Zweiten Weltkrieg ein Zwangsarbeitslager.
Dieser Satz nennt nicht den Träger des Lagers (auch nicht später). Damit bleibt er erkenntnismäßig hinter der Stellungnahme des Bezirksamtes zurück, wonach das Lager in der Wilhelmsaue 40 „definitiv vom Bezirksamt betrieben“ wurde. Das gilt auch im Hinblick auf den von der BVV erteilten Auftrag – dort ist ausdrücklich die Rede vom „ehem. Zwangsarbeiterlager des Bezirksamtes Wilmersdorf“, an das erinnert werden soll. Und er ignoriert die Aussagen von drei Dokumenten:
- Gesundheitsamt Wilmersdorf, 30.11.1942 (Abb. 2): Lagerbezeichnung „Bez.Verw. Wilmsdf.“
- Wegweiser durch die Bezirksverwaltung Wilmersdorf, Stand 15.7.1944 (Abb. 1): „Ausländerlager, Wilhelmsaue 39/40, Rathaus Wilmersdorf“
- Schreiben des Stellv. Bürgermeisters Dr. Thümer vom 30.4.1944 (Abb. 3), worin er den ihm gegenüber weisungsgebunden „Lagerleiter Giminski“ erwähnt.
Die drei Dokumente zeigen: Die Stellungnahme des Bezirksamtes sowie die Beschlüsse von Kulturausschuß und BVV sind sachlich fundiert, die Bezeichnung als vom Bezirksamt Wilmersdorf betriebenes Zwangsarbeiterlager ist zutreffend.
Warum die Zuständigkeit des Bezirksamtes verheimlichen?
Welchen Grund kann es geben, der Öffentlichkeit diese Tatsache vorzuenthalten? Es waren doch nicht nur private und staatliche Unternehmen, Kirchen und Privatpersonen, die Zwangsarbeiter benutzten, sondern auch der Staat selbst – bis hin zu den Bezirken. Übrigens beklagte das Bezirksamt Wilmersdorf schon in seinem „Kriegsverwaltungsbericht“ vom Frühjahr 1941*** (Abb. 4) den „ausserordentlichen Mangel an männlichen Arbeitern“, der „dazu gezwungen hat“, u.a. Ausländer einzusetzen. Und die wurden nun einmal im Lager Wilhelmsaue 40 untergebracht.
Wenn es also keinen sachlichen Grund gibt, diese Tatsache nicht auf die Gedenktafel zu schreiben – dann bleiben nur noch politische Gründe. Welche sind es?
Und wurde dabei bedacht, daß dadurch die offensichtliche Absicht des Bezirksamtes, historische Verantwortung für das Handeln seiner Vorgänger zu übernehmen, konterkariert wird? Hat doch Bezirksstadträtin Schmitt-Schmelz in der letzten Sitzung der Gedenktafelkommission (10.9.) „Bereitschaft für die Finanzierung der Gedenktafel signalisiert“.
Textentwurf der Historiker
Ein zweiter Entwurf wird zur Diskussion stehen. Er stammt von mehreren Historikern, unter ihnen die Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit, ein Mitglied der Berliner Geschichtswerkstatt und ein langjährig mit Zwangsarbeit befaßten Wissenschaftler der FU. Sein Einleitungssatz**** lautet:
An dieser Stelle befand sich im Zweiten Weltkrieg ein vom Bezirksamt Wilmersdorf geleitetes Zwangsarbeiterlager.
Dieser Entwurf macht eine Aussage über die Zuständigkeit für das Zwangsarbeiterlagers. Er kommt damit dem Auftrag der BVV nach und entspricht der Absicht des Bezirksamtes. Mit dem Begriff „geleitet“ greifen die Verfasser die Tatsache auf, daß mehrere Dokumenten (darunter Abb. 3) die Leitung des Lagers durch das Bezirksamt Wilmersdorf bezeugen.
Noch korrekter wäre indes, die Verantwortlichkeit des Bezirks mit den eigenen Worten der Stadträtin vom März festzuhalten: „ein vom Bezirksamt Wilmersdorf betriebenes Zwangsarbeiterlager“.
Ergänzung:
Die Gedenkstele für die im Zweiten Weltkrieg in Hamburg-Bergedorf eingesetzten Zwangsarbeiter, enthüllt am 21. September 2012, enthält einen Schlußsatz, der begründet, warum es heute noch wichtig ist, daß wir der Zwangsarbeiter, in deren Leben man durch Entrechtung, Ausbeutung und Erniedrigung auf das schlimmste eingegriffen hat, gedenken sollte. Er gilt auch hier: Diese Gedenktafel soll daran erinnern, welches Unrecht ihnen angetan wurde, damit nie wieder geschieht, was damals geschah.
Siehe auch: Wie war es eigentlich, Zwangsarbeiter des Bezirksamtes Wilmersdorf zu sein? und Zwangsarbeiterlager Wilhelmsaue 40 - Wofür polnische Zwangsarbeiter eingesetzt wurden
______________________
* Teilnahme: a) telefonisch: 5679 5800 (Meeting-ID: 943 3751 3014 – Kenncode: 831722); b) über Computer: https://zoom.us/j/94337513014?pwd=K2FIcGlxVmRkajJGN291ZHlSa2c5dz09
** Vollständiger Text:
„An dieser Stelle befand sich im Zweiten Weltkrieg ein Zwangsarbeitslager.
Mehr als fünfzig zivile Zwangsarbeiter aus verschiedenen Teilen Europas – darunter Frankreich, Polen, Jugoslawien, die Tschechoslowakei und die Niederlande – waren hier untergebracht.
Das Bezirksamt Wilmersdorf setzte die Arbeiter für die Trümmerbeseitigung, die Bergung von Opfern nach Luftangriffen und weitere kommunale Aufgaben ein.
Zwangsarbeit war wesentlich für die nationalsozialistische Kriegswirtschaft und Teil des Berliner Alltags. Auch Kriegsgefangene sowie Berliner Jüdinnen und Juden wurden von der Bezirksverwaltung zu Arbeitseinsätzen herangezogen.“
Anmerkung zum letzten Satz: Dies ist zutreffend, jedoch waren sie nicht in der Wilhelmsaue untergebracht. Nach dem Beschluß des Kulturausschusses gehört diese allgemeine Aussage daher eigentlich auf die zweite Gedenktafel am Haus Wallenbergstraße 13.
*** Landesarchiv Berlin A Rep. 039-08 Nr. 14 (Abb. 4)
**** Vollständiger Text:
„An dieser Stelle befand sich im Zweiten Weltkrieg ein vom Bezirksamt Wilmersdorf geleitetes Zwangsarbeiterlager.
Über 50 Menschen aus Polen, Jugoslawien, Frankreich, der Ukraine, der Tschechoslowakei und den Niederlanden waren hier untergebracht.
[Hier als Bild eingefügt: Ausschnitt aus einem Schreiben von 1943 mit dem Lager als Absender]
Die Bezirksverwaltung Wilmersdorf setzte sie bei der Trümmerbeseitigung und anderen kommunalen Aufgaben ein.
Zwangsarbeit war Teil der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft und im Berliner Alltag unübersehbar.“
Autor:Michael Roeder aus Wilmersdorf |
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