"Wir brauchen kieznahes Grün"
Interview mit Linken-Fraktionschef Niklas Schenker über die Causa Cornelsenwiese

An der von Investor Becker & Kries geplanten Wohnbebauung der Cornelsenwiese scheiden sich seit Jahren die Geister. Eine nie gelöschte Grunddienstbarkeit und ein Bürgerbegehren stehen den Interessen des Bauherren und dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum gegenüber.

Die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN) hat anlässlich der öffentlichen Auslegung den aktuellen Bebauungsplan-Entwurf abgelehnt und stattdessen den Erwerb der Wiese am Franz-Cornelsen-Weg durch die Kommune sowie ihre Entwicklung zu einer vielseitig nutzbaren Grünfläche vorgeschlagen. Bahnt sich die Lösung des Konflikts an? Berliner-Woche-Reporter Matthias Vogel sprach mit Niklas Schenker, Fraktionsvorsitzender der Linken in der BVV.

Die BLN untermauert mit ihrer Stellungnahme nicht nur den aktuellen Antrag Ihrer Fraktion, die Wiese unbebaut zu lassen, sie führt ihn mit der Forderung nach Erwerb und Gestaltung der Fläche weiter. Liegt hier ein für alle Seiten tragfähiger Kompromiss in der Luft?

Niklas Schenker: Es wäre großartig, wenn der Bezirk die Wiese erwerben könnte und zu einer Grünanlage entwickelt. Wir wollen die Cornelsenwiese erhalten und nur auf den angrenzenden Flächen Sozialwohnungen bauen. Das fordern die Anwohner übrigens seit Jahren. Ob der Kompromiss für alle Seiten eine Win-Win-Situation ist, weiß ich nicht. Wichtiger ist: Die BVV entscheidet über das Planungsrecht, keine Investoren. Wenn die BVV-Mehrheit es will, ist dieser Kompromiss umsetzbar. Wir wollen!

Das Bezirksamt hat das Bebauungsplanverfahren vorangetrieben, obwohl die BVV den Antrag abgelehnt hatte, der Bezirk möge "den Bebauungsplan für den Bereich Cornelsenwiese auf Basis der aktuellen Planung überarbeiten". Was halten Sie davon?

Niklas Schenker: Ich halte das für falsch. Das Bezirksamt verspielt damit nicht nur Vertrauen und Rückhalt bei den Verordneten, sondern auch bei den Bürgern, die das nicht nachvollziehen können. Die Abstimmung hätten wir uns sparen können, wenn das Bezirksamt eh bauen will. Die BVV hat doch mit ihrem Votum deutlich gemacht: Es gibt keine Mehrheit für die Pläne des Investors, es braucht neue. Wir haben jetzt einen Vorschlag gemacht. Ich würde mir sehr wünschen, dass diesem guten Kompromiss eine Chance gegeben wird.

Warum sind Sie bei diesem Thema so außerordentlich engagiert?

Niklas Schenker: Einige haben immer noch nicht verstanden: Der Schutz von Grünflächen ist politisch. Grünflächen müssen gegen Bodenverwertungsinteressen verteidigt werden. Kieznahes Grün wie die Cornelsenwiese wertet die Wohnumgebung auf, ist gut für unser Klima. Deshalb sind sie so erhaltenswürdig.

Im Herbst stimmt die BVV über den Bebauungsplan ab. Wenn er angenommen wird, haben sich Ihr Antrag und die Idee des BLN erledigt. Nur die Grünen und die AfD haben sich zuletzt klar gegen eine Bebauung der Wiese positioniert. Selbst ihre Fraktion entschied sich nur zur Hälfte dagegen. Was spricht für eine Ablehnung? 

Niklas Schenker: Unsere Fraktion wird dieses Mal auf jeden Fall einhellig gegen den Bebauungsplan stimmen. Wir brauchen kieznahes Stadtgrün, Aufenthaltsqualität und Kaltluftschneisen. Die aktuelle Hitzewelle und immer heißere Sommer sind der beste Beweis dafür.

Und dennoch braucht es auch neue Wohnungen im Bezirk.

Niklas Schenker: Bezahlbarer Neubau ist nur ein Baustein einer sozialen Stadtpolitik, das viel zitierte „bauen, bauen, bauen“ greift zu kurz. Wir müssen daran arbeiten, die Aufenthaltsqualität in den Kiezen zu verbessern und zu erhalten. Warum werden keine Wohnungen auf dem Reemtsma-Gelände gebaut? Das zeigt doch die Unehrlichkeit in der Debatte. Da soll eine Wiese versiegelt werden, um 30 Wohnungen zu bauen, aber das Reemtsma-Gelände, das größer ist als der Potsdamer Platz, soll frei von Wohnbebauung bleiben? Ich halte das für absurd.

Wie wollen Sie ihren Koalitionspartner SPD überzeugen?

Niklas Schenker: Wir wollen noch im Sommer vor Ort mit den Anwohnern und der BLN über unser Konzept sprechen und auch andere Fraktionen dazu einladen.

Die BLN sagt, es bestünde wegen der existierenden Grunddienstbarkeit kein Baurecht. Grünen-Baustadtrat Oliver Schruoffeneger sieht das anders. Dazu fürchtet er Schadenersatzansprüche seitens des Investors im Falle einer Ablehnung des B-Plans. Und zwar nicht wegen bereits angefallener Planungskosten, sondern wegen eines "Vertrauensschadens". Ein Briefwechsel mit der Verwaltung im Jahr 2016 habe Becker & Kries signalisiert, es dürfe gebaut werden. Wie stehen Sie dazu?

Niklas Schenker: Wie bei der Kleingartenkolonie Oeynhausen werden Drohszenarien aufgemacht, die die BVV in ihrer Entscheidungsfindung erpressen sollen. Aber so läuft das nicht mehr. Die Berliner holen sich ihre Stadt zurück. Wir lassen uns von solchen Ablenkungsmanövern nicht verunsichern. Wir stehen für eine Stadtpolitik von unten, die die Interessen der Bewohner vor die Interessen von Investoren stellt.

Was läuft Ihrer Meinung nach schief?

Niklas Schenker: Ich würde mir wünschen, dass die BVV Charlottenburg-Wilmersdorf selbstbewusster auftritt und sich stärker dagegen wehrt. Es gibt aber auch ein Problem in der Verwaltung. Wie kann es sein, dass Investoren suggeriert wird, bauen zu können, auch wenn das rechtlich ausgeschlossen ist? Da kann Schruoffeneger nicht achselzuckend sagen: „War vor meiner Zeit." Er muss aufklären und verhindern, dass so etwas noch einmal passiert. 

Sie kritisieren das Verhalten der Grünen-Fraktion, obwohl sie sich klar gegen die Bebauung ausspricht?

Niklas Schenker: Ich kritisiere nicht, dass die Grünen-Fraktion bisher gegen die Bebauung gestimmt hat. Auch die Linksfraktion hat sich gegen eine Bebauung der Wiese ausgesprochen. Kritisieren muss ich doch, dass wenige Tage nach dem Votum in der BVV der grüne Baustadtrat Schruoffeneger das Verfahren weiter betreibt. Und die Grünen-Fraktion schweigt. Mir geht es jetzt darum, dass wir gemeinsam eine Lösung hinbekommen.

Bürgermeister Reinhard Naumann (SPD) sprach sich jüngst für eine Bebauung aus, um Interimswohnungen für die Bewohner der zu renovierenden "Schlange" zu bekommen. Können Sie seine Haltung nachvollziehen?

Niklas Schenker: Das ist nachvollziehbar, aber verkürzt. Die Interimswohnungen werden nur für ein paar Jahre bezogen, aber auch danach bleibt die Wiese versiegelt. Außerdem profitieren die Bewohner der „Schlange“ ebenso von der Cornelsenwiese. Die Bewohner gegeneinander auszuspielen, halte ich für falsch.

Autor:

Matthias Vogel aus Charlottenburg

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