Politik nach Unterrichtsschluss
Kinder- und Jugendparlament Charlottenburg-Wilmersdorf mischt erfolgreich mit
Spielplätze, Ampeln, Zebrastreifen, Schulhöfe: Das Kinder- und Jugendparlament vertritt seit 20 Jahren die Interessen junger Menschen. Mit viel Engagement und Ideen.
Politik ist spannend und manchmal anstrengend. Alle haben eine Meinung und kommen in der Demokratie auch zu Wort. Wirklich alle? Kinder und Jugendliche spielen meist keine große Rolle. Die junge Generation wisse zu wenig über Politik oder habe kein Interesse, so der Vorwurf. Doch die Realität ist eine andere. Kinder und Jugendliche haben Spaß daran, sich einzumischen, finden es spannend, Ideen für ihren Bezirk zu entwerfen und zu sehen, was sie erreichen können.
Im Kinder- und Jugendparlament (KJP) Charlottenburg-Wilmersdorf zeigen 140 junge Leute, wie viel Engagement in ihnen steckt, und dass ihre Generation alles andere als politikverdrossen ist. Junge Menschen wie Luiza Podgorniak, Juri Ciesinger, Allegra Heinzgen, Maximos Kalomoirakis und Pauline Aman, die Politikern sagen, was Kinder und Jugendliche denken und wollen. Und die sich gemeinsam mit Gleichaltrigen und den Erwachsenen für einen noch kinder- und jugendfreundlicheren Bezirk einsetzen. „Wir wollen Bezirkspolitik aktiv mitgestalten“, sagt Luiza Podgorniak. Die 14-Jährige ist seit einem Jahr die Vorsitzende des Kinder- und Jugendparlaments. Zusammen mit dem Vorstand vertritt sie die jungen Parlamentarier im Alter von acht bis 21 Jahren, hat wie die anderen immer ein offenes Ohr für ihre Ideen und Probleme. Im Parlament sitzt sie seit sie zwölf ist. So viele Kinder auf einmal zu sehen, die Anträge stellen und sich durchsetzen, das war für Luiza Podgorniak damals ein „Wow-Effekt“. Allegra Heinzgen (15) geht es ähnlich. „Dass wir etwas erreichen können, wenn wir nur hartnäckig bleiben“, dafür steht für die Gymnasiastin das KJP.
Anträge gehen in die BVV
Und erreicht haben die jungen Leute schon ganz viel. Ob Spielplätze, Ampeln, Zebrastreifen, Schulhöfe, neue Jugendfreizeiteinrichtungen oder jugendgerechte Stadtplanung, die meisten ihrer Anliegen werden von den Bezirkspolitikern aufgegriffen. Das Jugendzentrum „Anne Frank“ bekam Solarpanels aufs Dach, diverse Grundschulen haben jetzt Fahrradständer und Zebrastreifen und der Volkspark Wilmersdorf einen „Zauberspielplatz“. Die Sanierung der Toiletten im Spielhaus Schillerstraße ist beantragt, ebenso wie Fußgängerüberwege vor der Halensee-Grundschule oder der Friedensburg-Oberschule. Das KJP setzte auch das „Manna Westend“ durch, einen Kinder- und Jugendtreff, der im September 2016 eröffnete. Neu ist das „Welcome-Scout-Projekt“ der AG Europa des Kinder- und Jugendparlaments. Die jungen Parlamentarier fungieren dort als „Welcome Scouts“ für geflüchtete Kinder und Jugendliche im Bezirk, stellen ihnen die Angebote und Jugendhäuser vor. Vom Landesamt für Flüchtlinge (LAF) gab's dafür gerade ein dickes Lob.
Aber wie funktioniert das Kinder- und Jugendparlament eigentlich? Im Grunde wie die Bezirksverordnetenversammlung (BVV), nur dass die Mädchen und Jungen nicht abstimmen dürfen und kein Sitzungsgeld bekommen. Außerdem ist das KJP politisch neutral und hat somit einen ähnlichen Status wie parteilose Stadträte. Der Parlamentsvorstand leitet die inhaltliche Arbeit und wird wie in der großen Politik zu Beginn jeder Wahlperiode gewählt. Fünf Mal im Jahr treffen sich die Mitglieder zur Plenarsitzung im Rathaus, wo sie ihre politischen Ideen debattieren und beschließen. Die beschlossenen Anträge werden dann vom BV-Vorsitzenden oder der Vorsitzenden ins Bezirksparlament getragen. Die Kinder und Jugendlichen haben dort dann wie in den Ausschüssen, wo sie ihre Anträge verteidigen müssen, Rederecht.
Reden auf Augenhöhe
Behandelt werden in der BVV aber nur die größeren Anträge. „Alltägliches“ wird über den „kleinen Dienstweg“ gelöst. „Wir suchen dafür den direkten Weg zum zuständigen Stadtrat oder der Stadträtin“, erklärt Maximos Kalomoirakis (12). „Das klappt auch ganz gut.“ Für die Sach- und Facharbeit hat das KJP sechs Arbeitsgruppen, zum Beispiel für Umwelt, Inklusion, Europa oder die Spielplätze. Kandidieren darf für das KJP jeder ab der 5. Klasse. Alle Schulen und Jugendfreizeiteinrichtungen wählen je drei Mitglieder, die ihre Einrichtung im Parlament vertreten. Das nennt man Basisdemokratie.
Dass die Kinder und Jugendlichen von den Bezirkspolitikern ernst genommen werden, beweist vor allem eine Zahl. Mehr als 90 Prozent ihrer Anträge sind in den vergangenen 20 Jahren durchgegangen. So lange gibt es das KJP nämlich schon. „Außerdem nehmen sich die Politiker Zeit und reden mit uns auf Augenhöhe“, sagt Luiza. „Manchmal hat ein Stadtrat eine gute Idee“, ergänzt Juri Ciesinger, „wenn wir ein neues Projekt auf die Beine stellen wollen oder die Bezirksverordneten einen Antrag von uns abgelehnt haben.“
Pietro Deligio, der die KJP-Geschäftsstelle im Rathaus an der Otto-Suhr-Allee leitet, ist stolz auf die jungen Leute und auf das, was sie erreicht haben. Das macht das Kinder- und Jugendparlament so wertvoll für die Bezirkspolitik. „Wir reden hier über wirkliche Bedarfe“, sagt Deligio. „Und wer kennt sie besser als die Kinder und Jugendlichen. Sie sind die Experten.“
Was sich Luiza und die anderen wünschen? „Dass unser Parlament noch bekannter wird. Denn viele wissen von uns gar nichts.“ Oder erfahren erst von den Lehrern davon. Ein Schaukasten am Rathaus könnte helfen. Den hat Luiza beantragt. Damit noch mehr Schüler von ihrem politischen Engagement erfahren – und sich einmischen.
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
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