Gedenken an Zwangsarbeiter des Bezirksamtes Wilmersdorf
Offener Brief an die Gedenktafelkommission: 5 ½ Jahre sind doch genug

Abb. 1:  Private Gedenktafel am Haus, Dezember 2017
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  • Abb. 1: Private Gedenktafel am Haus, Dezember 2017
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Offener Brief des Initiators einer Gedenktafel für das ehem. Zwangsarbeiterlager des Bezirksamtes Wilmersdorf in der Wilhelmsaue 40 zur Sitzung der Gedenktafelkommission* am 10.9.2020
Mit einer Ergänzung: Ergebnis der Sitzung vom 10.10.2020

Sehr geehrtes Mitglied der Gedenktafelkommission,

heute (10. September) wird Ihnen die Leiterin des bezirklichen Museums keinen Textvorschlag für die Gedenktafel Wilhelmsaue 40 machen, obwohl Sie ihr im März diese Aufgabe übertragen haben; stattdessen wird sie Ihnen einen „Sachvortrag“ halten.

Darin wird sie Ihnen im wesentlichen mitteilen, dass diese Gedenktafel ein „fachliches Problem“ darstelle, das „wissenschaftlich“ gelöst werden müsse – also zu schwierig für Sie sei.

Sie werden sich erinnern, dass Sie diese Last-Minute-Taktik schon einmal erlebt haben: im Juni 2017 im Kulturausschuss – damals mit einem anonymen Schreiben von Herrn K., in dem er neue Dokumente ankündigte (die nie kamen).

Damit sich etwas derartiges nicht wieder ereignet und 75 Jahre nach Kriegsende endlich der Zwangsarbeiter des BA Wilmersdorf würdig gedacht wird, möchte ich Ihnen die Ergebnisse der vergangenen 5 ½ Jahre Beschäftigung mit Wilhelmsaue 40 kurz in Erinnerung rufen:

  1. Es ist anhand von Dokumenten belegt, dass das BA Wilmersdorf in Wilhelmsaue 40 ein Zwangsarbeiterlager betrieb mit einem bezirklichen Lagerleiter (v.a. Gesundheitsamt Nov. 1942 und das von der Bezirksstadträtin Schmitt-Schmelz vorgelegte BA-Telefonverzeichnis von Juli 1944) [siehe Abb. 2 und 3].
  2. An dieser Tatsache ändert sich nichts,  - ob dieses Zwangsarbeiterlager „Ausländerlager“ oder „Städtisches Ausländerlager für Aufgaben im Verwaltungsinteresse“ oder anders genannt wurde   - ob das Lager auf einem bezirkseigenen Grundstück lag oder nicht   - ob sein Betrieb den NS-Gesetzen entsprach oder nicht.
  3. Heute wird Ihnen vorgeschlagen, sich an das Landesarchiv Berlin (allerdings ist das ein Archiv!) oder die Historische Kommission zu Berlin zu wenden. Beide Institutionen sind in der Fachwelt anerkannt. Das gilt aber genauso für diese, die außerdem Spezialisten für das Thema Zwangsarbeit in Berlin sind:  - die Berliner Geschichtswerkstatt (seit 1993 zum Thema tätig)  - das Dokumentationszentrum für NS-Zwangsarbeit der Stiftung Topographie des Terrors (2006 für speziell dieses Thema gegründet)   - Dr. Cord Pagenstecher (arbeitete an Ausstellungen zur Zwangsarbeit mit, darunter die Ausstellung der Berliner Regionalmuseen zur Zwangsarbeit in Berlin). Sie alle befürworten als fachlich ausgewiesene Historiker die Errichtung der Gedenktafel. Genügen drei Bestätigungen nicht?
  4. Das Bezirksamt, beide Male vertreten durch die Kulturstadträtin Frau Schmitt-Schmelz, zeigte sich daher im März „überzeugt“, dass das Lager „definitiv vom Bezirksamt betrieben“ wurde, und bestätigte im April, dass das BA „zusätzlich eine Gedenktafel in der Wilhelmsaue 40 (anstrebt)“.
  5. Ergebnis: Es gibt kein „fachliches Problem“, das noch „wissenschaftlich gelöst werden“ müsste. Stattdessen gibt es erneut eine Last-Minute-Taktik zur Verhinderung der Gedenktafel aus nie offengelegten politischen Gründen – und das, obwohl jeder einzelne der an dem Prozess Beteiligten bereits viermal (je zweimal 2017 und 2020) in der Öffentlichkeit für diese Gedenktafel gestimmt hat. Wird diesmal zumindest die Mehrheit der Kommissionsmitglieder zu ihrem Abstimmungsverhalten stehen?

Wenn dies der Fall ist, wäre es da nicht angebracht – bevor diese Gedenktafel im Januar das sechste Jahr auf dem Tapet und der Zweite Weltkrieg 76 Jahre vorbei ist – noch in diesem Herbst einen Text für die Gedenktafel Wilhelmsaue 40 zu beschließen? Dies eingedenk der Tatsache, dass letztlich nur auf den Knochen der Zwangsarbeiter dieser Krieg hatte geführt werden können und wir ihnen dafür endlich ein würdiges Gedenken schulden.

Mit freundlichen Grüßen
M. Roeder

Ergänzung: Ergebnis der Sitzung vom 10.10.2020
Die Gedenktafelkommission verfolgte nicht voll die Linie, wie sie im offenen Brief befürchtet wurde. Existenz und Ort des Lagers werden nun tatsächlich nicht mehr bezweifelt; es geht jetzt offenbar darum, die Rolle des Bezirksamtes Wilmersdorf kleinzuschreiben: Am 10.10. wurden diese Formulierungsvorschläge (die wieder nicht diskutiert wurden; diesmal Vertagung um weitere zwei Monate auf Mitte November) vorgelegt: "Die Bezirksverwaltung Wilmersdorf war für den Einsatz der Zwangsarbeiter verantwortlich." bzw. "Die Bezirksverwaltung Wilmersdorf setzte sie ... ein." (Hervorh. v. mir) Richtig, sie setzte Zwangsarbeiter ein (siehe dieses Beispiel des Einsatzes) - und zwar setzte sie Zwangsarbeiter ein aus dem "Ausländerlager" in der Wilhelmsaue, das Teil der Bezirksverwaltung war (siehe z.B. das Dokument in Abb. 3) bzw. in anderen Worten: das das Bezirksamt Wilmersdorf selbst betrieb. Was ist so schwer daran, dies klar zu sagen? Und damit historische Verantwortung zu übernehmen?
___________________________________________
* Die Kommission besteht aus je einem Mitglied der sechs in der BVV vertretenen Parteien, der Vorsteherin der BVV (SPD) und den Leiterinnen von Kunstamt und Bezirksmuseum.

Autor:

Michael Roeder aus Wilmersdorf

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