Gedanken einer Krankenschwester über ihren Beruf

Foto: Pexels/Vidal Balielo jr.

„Ich wollte eigentlich nie Krankenschwester werden, aber jetzt bin ich es seit vielen Jahren, und ich liebe meinen Beruf“, sagte Schwester Steffi zum Ende des Gesprächs, „trotz all meiner Kritik.“ Und es gab viel Kritik, die ihr am Herzen lag, als wir anhand der im September 2023 erhobenen Forderungen des Deutschen Pflegerats – eines Zusammenschlusses von Berufsverbänden aus der Kranken- und Altenpflege und von Hebammen – über die Belastungen in ihrem Beruf sprachen.

Personalschlüssel

„Seitdem ich meine Ausbildung beendet habe, ist im Laufe der Jahre die Arbeit stressiger geworden. Alles muß immer schneller gehen.“ Die Zunahme der Arbeitsbelastung ist an der Entwicklung des Personalschlüssels ablesbar: „Waren bis ca. 2003 für 30 Patienten einer Normalstation für die Frühschicht 6-7, für die Spätschicht 4-5 und für den Nachtdienst 1 Schwester oder Pfleger eingeteilt, so sind es heute für die drei Schichten nur noch 3, 2 (und eventuell ein Pflegehelfer oder -schüler) und 1.“ Es stimmt zwar, dass ein Teil der Arbeit – zum Beispiel, wenn Patienten sich nicht selbst waschen oder allein essen können, wenn ihr Wäsche gewechselt werden muss uv.m. – zum Teil auf Pflegehelfer übertragen wurde. Zusätzlich gibt es noch Servicekräfte, die sich um die Essensverteilung kümmern, die Reinigung der Bettplätze bei Entlassung usw. „Fallen sie aus und kommt keine Vertretung, müssen diese Aufgaben vom Pflegepersonal oder Pflegehelfer übernommen werden.“
Ein weiteres Erschwernis besteht darin, dass Hilfsmittel, die bei körperlicher Arbeit entlasten sollen, zu knapp sind. „Das ist der Fall bei Trage- und Lagerungshilfen. Und Patientenlifter, die benötigt werden, um übergewichtige Patienten vom Boden anzuheben oder vom Bett in den Sessel, fehlen ganz.“
In manchen Krankenhäusern wurden in den vergangenen Jahren einzelne Pflegekräfte zusätzlich eingestellt, wenn diese Krankenhäuser aufgrund einer damals neu eingeführten Punktetabelle mehr Leistungen für besonders pflegeaufwendige Patienten gegenüber den Krankenkassen abrechnen konnten. „Aber diese zusätzliche Abrechnungsmöglichkeit wurde rasch abgeschafft, weil sie zu teuer wurde.“ So ist es im übrigen auch mit den Servicekräften, die einst zur Entlastung der Pflegekräfte eingestellt wurden. „Viele Krankenhäuser beschäftigen keine Servicekräfte mehr. Deren Arbeit muss nun wieder von den noch vorhandenen Pflegekräften geleistet werden.“

Dokumentation, aber wofür?

Die Anwendung der eben erwähnten Punktetabelle führte zu einem zusätzlichen Dokumentationsaufwand. Dabei ist die Dokumentation ein weiterer Punkt, der Schwester Steffi und ihren Kolleginnen Sorge bereitet. Der Deutsche Pflegerat fordert: „Bürokratie im Arbeitstag aufs absolut Notwendige reduzieren!“ Schwester Steffi meint: „Dokumentation ist dort sinnvoll, wo der Folgeschicht eine für den Patienten wichtige Nachricht gegeben wird, zum Beispiel: ‚Rote Stelle am linken Fuß‘. Die nächste Schicht weiß dann Bescheid und kontrolliert, ob es eine Weiterung gibt. Das ist sinnvoll. Aber wir müsssen alles dokumentieren: gewaschen, gekämmt, Zähne geputzt, wieviel gegessen, wieviel getrunken und so weiter. Was nicht dokumentiert ist, ist vor Gericht oder den Kontrolleuren des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen nicht gemacht. Ich schätze, dass in den acht Stunden auf einer Normalstation um die 30 % der Arbeitszeit aufs Dokumentieren fallen.“

Fehlender Nachwuchs für die Pflege

Überlastung durch zu wenig Personal, nicht ausreichende Hilfsmittel, ständige Ablenkung von der Arbeit durch das Telefon und umfangreiche bürokratische Tätigkeiten, die vor allem für Rechtfertigungszwecke auferlegt sind – das sind einige Gründe, warum sogar manche neuen Kollegen schon nach kurzer Zeit wieder kündigen. Und Streik? „Das Problem ist nur: Trotz Streiks muss die Pflege ja weitergehen. Alles andere wäre Aussetzen einer hilflosen Person. Grundsätzlich gehen junge Kollegen von Beginn an auf Teilzeit, weil sie merken: so zu arbeiten ist nicht ein Leben lang möglich. Auch ist selten für sie zu Berufsbeginn ein Mentor zur Anleitung da, meist heißt es einfach: Los, mach! Wenn alle Schwesternschülerinnen wegblieben, würde alles zusammenbrechen, weil auch sie fest eingeplant sind, um die Arbeit zu schaffen.“
Der Mangel an Pflegekräften im Krankenhausbereich – daneben gleichfalls in der Altenpflege – wurde von der Gewerkschaft Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) vor drei Jahren auf 80.000 geschätzt, von der Hans-Böckler-Stiftung vor vier Jahren sogar auf 100.000. Damit sind Vollzeitstellen gemeint, also wäre bei der weitverbreiteten Teilzeitbeschäftigung die Zahl der benötigten Personen nochmals spürbar höher. Und mit Blick auf die Zukunft: bei zunehmender Alterserwartung wird es immer mehr Menschen geben, die der Pflege bedürfen. Und wie wird verhindert, dass immer weniger dazu bereit sind, einen dementsprechenden Beruf zu erlernen und ihn dann auch auszuüben? Die Lücken mit – möglichst schon fertig ausgebildeten – Schwestern und Pflegern aus dem Ausland zu schließen, was heißt, aus ärmeren Ländern, scheint vielen Verantwortungsträgern verlockend. Aber das sollte sich schon deshalb verbieten, weil unser eigentlich doch reiches Land in diesen ärmeren Ländern die Lebensbedingungen der Mehrzahl der Menschen noch weiter verschlechtert.

Den Pflegeberuf attraktiver machen

Der Deutsche Pflegerat hat hierzu noch eine weitere Forderung: Den Pflegekräften mehr Kompetenzen übertragen! Dazu Schwester Steffi: „Das hängt stark vom einzelnen Krankenhaus ab. Eigentlich ist es so, dass wenn ein Patient Schmerzen hat oder Verstopfung, ich erst einmal zum diensthabenden Arzt gehe, ihn informiere und seine Anweisung abwarte. So könnte das ablaufen, falls der Arzt sich sonst als Vorgesetzter in seiner Ehre gekränkt fühlt. Wenn aber zwischen ärztlichem und pflegerischem Personal auf der Abteilung ein Vertrauensverhältnis besteht, wie es bei uns der Fall ist, ergreife ich selbst die notwendigen Maßnahmen und informiere im nachherein. Man kann voneinander lernen, zum Beispiel ein junger Arzt von einer erfahrenen Krankenschwester. Und es spart Zeit.“ Schwester Steffi unterstützt daher diese Forderung, aber sie merkt zur seit 2020 neugestalteten Pflegeausbildung kritisch an: „Seitdem werden spätere Kranken-, Alten- und Kinderkrankenpfleger ganz überwiegend gemeinsam ausgebildet, damit sie hinterher flexibler einsetzbar sind, zum Beispiel von der Erwachsenen- zur Kinderpflege umsetzbar. Das war vorher undenkbar, weil die Anforderungen in der Praxis völlig verschieden sind. Diese Art der Ausbildung führt dazu, dass man hinterher von allem nur ein bisschen weiß.“ Ihr ist aufgrund ihrer Berufserfahrung eine profunde, zielgerichtete Ausbildung mit viel Praxis wichtig.

Wie Schwester Steffi ihre Arbeit erlebt

„Trotz aller Kritik – ich liebe diesen Beruf. Ich könnte niemals von 8 bis 16 Uhr in einem Büro sitzen. Es ist schön, Menschen durch ganz einfache Sachen glücklich zu machen und ihnen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Eine Haarwäsche, eine Fahrt in den Garten, ein selbstgebasteltes Weihnachtsgeschenk. Dieses ganze Zusammenspiel, um Menschen in einer unschönen Situation zu helfen und ihnen dadurch den Tag zu verschönern. Oder Angehörige in ihrem Kummer aufzufangen. Dieser Beruf ist für mich eine Berufung, und sicher opfere ich mich bisweilen auch auf. Für viele ist es nur ein Beruf, aber das ist auch völlig in Ordnung, Hauptsache, die Arbeit wird gut gemacht.“ Traurig macht es sie, wenn mit Kranken unnötige Dinge angestellt werden, noch eine Untersuchung oder eine OP, nur weil sie dem Krankenhaus Geld bringen, oder wenn Verwandte bei einem Todgeweihten sinnlose Aktionen fordern. „Es ist auch notwendig, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen.“

Autor:

Michael Roeder aus Wilmersdorf

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