Lukrativer Wildwuchs
Hauseigner und Kirche profitieren von Baugerüst-Werbung
Der Glockenturm der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche muss saniert werden. Um die Kosten zu deckeln, mutierte das Baugerüst zur gigantischen Werbefläche. Ein sensibles Thema, denn im Bauausschuss ärgern sich die Bezirksverordneten schon lange über diese Art der Einnahmequelle.
Die filigranen Betonwaben des Glockenturms müssen dringend saniert und die mehr als 5000 blauen Betonglasfelder ausgebaut und überholt werden. Seit 2014 schützt ein Baugerüst die Passanten vor herabfallenden Betonbrocken. Seit Ende März ist dieses Baugerüst nun als Werbefläche vermietet, an einen chinesischen Mobilfunkhersteller und Netzwerktechnik-Konzern.
„Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht"
Die hierdurch ermöglichten Einnahmen seien für die Finanzierung der Sanierungsarbeiten unverzichtbar, denn alle Fördermittelgeber würden einen kirchlichen Eigenanteil fordern. Die bisherigen Rücklagen der Gedächtniskirche seien aber für die laufenden Arbeiten am Podium des Kirchenensembles und Sanierungsmaßnahmen an anderen Teilgebäuden aufgebraucht, heißt es in einer Pressemitteilung des Evangelischen Kirchenkreises. Für die Stiftung Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und die Kirchengemeinde sei Werbung an Kirchengebäuden immer nur ein Notbehelf. Martin Germer, Pfarrer in der Gedächtniskirche, sagt: „Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht. Für die jetzt bevorstehende Betonsanierung ist Werbung leider unsere einzige Chance, an Eigenmittel zu kommen und auch für weitere anstehende Baumaßnahmen, kirchliche, staatliche und private Förderung zu erhalten.“ Für die Instandsetzung des Glockenturms, die 2020 beginnen soll, wird mit Kosten von mehr als vier Millionen Euro gerechnet.
Streit um Werbung am "Spielvogel-Haus"
Werbeplanen an Baugerüsten werden im Rathaus seit etwa einem halben Jahr mit argwöhnischen Blicken verfolgt. Der CDU-Verordnete Gerald Mattern wollte damals wissen, warum das "Spielvogel-Haus" an der Ecke Uhlandstraße und Hohenzollerndamm dauerhaft eingerüstet sei. Hinter Plane und Metallgestänge geschehe schließlich nichts. In der jüngsten Sitzung des Gremiums teilte Baustadtrat Oliver Schruoffeneger (Bündnis 90/Grüne) nun mit: "Der Eigentümer teilt die prinzipiell genehmigungsfähigen Monate offenbar in kleine Scheibchen. Deshalb hängt dort mal Werbung und mal nicht. Das Problem: Er hat keine Genehmigung beantragt."
Am Hohenzollerndamm, am Henriettenplatz in Halensee, in der Kantstraße – Beispiele für diese Art lukrativer Werbeflächen gibt es nicht nur in Charlottenburg-Wilmersdorf zur Genüge. "In ganz Berlin herrscht gerade Wildwuchs", sagte der Baustadtrat. Das Thema hat es deshalb auf die Tagesordnung der Leitungsrunde aller Berliner Bauaufsichtsämter geschafft. "Ist da aber nochmals vertagt worden."
Messen mit zweierlei Maß?
Im Falle des "Spielvogel-Hauses" sei das Straßen- und Grünflächenamt des Bezirkes zuständig und auch dran. "Insgesamt wird da gerade mit harten Bandagen gekämpft. Da kommen wir mit unserer Personalstruktur nicht hinterher", gab Schruoffeneger zu. Das einzige Mittel sei seiner Ansicht nach, den Bußgeldkatalog deutlich zu verschärfen. "Im Moment werden Strafen in Kauf genommen, weil sie im Vergleich zu den Einnahmen nicht ins Gewicht fallen." Bezüglich der Causa Gedächtniskirche sagte er: "Wird auch nicht gerne gesehen. Aber der Erhalt eines derart herausragenden Kulturdenkmals steht einfach auf einem anderen Blatt." Einen Präzedenzfall fürchte er nicht, auch wenn die Konkurrenz des chinesischen Konzerns durchaus mit der Frage Sturm laufe, warum der dürfe und man selber nicht.
Autor:Matthias Vogel aus Charlottenburg |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.